Entschuldigung, was heißt eigentlich Flexibilität?

Weil die politischen Parteien im vergangenen Jahr drohten, in die Tarifautonomie gesetzlich einzugreifen, sind Arbeitgeberverband und Gewerkschaften nun bereit, über flexible Arbeitszeiten zu verhandeln. Doch beide Seiten präsentieren bisher völlig unterschiedliche Modelle

BERLIN taz ■ Flexibilität ist eines der meistgebrauchten Worte im Tarifstreit in der Metall- und Elektroindustrie. Verständlich, denn Regierung und Opposition hatten im vergangenen Dezember während der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss den beiden Tarifparteien mit gesetzlichen Eingriffen gedroht, sollten sie den Tarifvertrag nicht selbst weiterentwickeln. Weder die IG Metall noch die Arbeitgeber lassen deshalb die Gelegenheit aus, auf ihre Reformfreudigkeit zu verweisen. IG-Metall-Chef Jürgen Peters sagt, seine Gewerkschaft sei „sehr bereit“, über flexible Arbeitszeiten zu verhandeln. Er wolle zudem den „betrieblichen Gestaltungsspielraum vergrößern“. Das fordert vehement eigentlich auch Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser. Wo also liegt das Problem?

Der Streit um die Löhne kann es nicht sein. Die Forderung von 4 Prozent der IG Metall ist mäßiger als in den vergangenen Jahren. Und die Arbeitgeberseite hat vor der heutigen Verhandlungsrunde in Baden-Württemberg schon angedeutet, ihr Angebot (zweimal 1,2 Prozent mehr Lohn in den nächsten 27 Monaten) nachbessern zu wollen. Die Kluft ist nicht allzu groß. Lohnverhandlungen seien am Ende ohnehin nur „ödes Geschachere“, sagt ein Arbeitgeberfunktionär. Das Problem der Tarifrunde 2004 ist vielmehr: Wenn IG Metall und Gesamtmetall von Flexibilisierung reden, meinen sie etwas völlig anderes.

Die Arbeitgeber wagen sich an ein gewerkschaftliches Heiligtum. An die 35-Stunden-Woche, den Fixpunkt der IG Metall. Sie fordern einen Arbeitszeitkorridor, der im Extremfall die 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich zulässt. Einerseits argumentieren die Arbeitgeber mit der Starrheit der Tarifverträge. Betriebe müssten „am Rande oder außerhalb der Legalität operieren, um Betriebe und Arbeitsplätze“ zu retten, sagt Kannegiesser. Er verweist auch auf Firmen- und Ergänzungstarifverträge „in hunderten von Fällen“, die von der IG Metall zugestanden wurden und die „als Option im Flächentarifvertrag nicht falsch sein können“. Andererseits sagen die Arbeitgeber auch: Nur durch Kostensenkung ist der Tarifvertrag zu retten. Weil nur durch Kostensenkung im härter gewordenen internationalen Wettbewerb Stellenabbau, Abwanderung von Firmen ins Ausland, Abbau von Sortimenten oder Austritte aus dem Tarifverbund verhindert werden könnten. Kannegiesser rechnet mit 12,5 Prozent Kostensenkung – im Idealfall.

Auch wenn Kannegiesser immer wieder betont, nicht flächendeckend die 40-Stunden-Woche einführen zu wollen, glaubt ihm das bei der Gewerkschaft natürlich niemand. Von „Lohndumping“ (Peters et al.) ist da die Rede. Weil die Gewerkschaft nicht davon ausgeht, dass es bei einer „Option“ für einzelne Betriebe bleibt. Denn wenn der Arbeitszeitkorridor erst einmal eingeführt ist, erwartet die IG Metall einen „Schneeballeffekt“ (Peters et al.). Warum sollte das eine Unternehmen auf dieses Mittel der Kostensenkung verzichten, wenn sich der Konkurrent am Markt einen Vorteil verschafft?, fragen die Metaller.

Und noch eine Arbeitgeberforderung rührt am Selbstverständnis der IG Metall: Den Arbeitszeitkorridor mitsamt der Lohnfrage soll künftig der Betriebsrat mit der Unternehmensleitung aushandeln. Zu viel für die Gewerkschaft, die sich noch als Ordnungsmacht für die Betriebe versteht. Teilweise zu Recht, weil Betriebsräte gerade in kleineren Unternehmen unter Umständen erpressbar werden, wenn der Unternehmer mit Arbeitsplatzabbau droht. Das Beispiel Quotenregelung zeigt die eingeschränkte Macht der Betriebsräte: Schon jetzt überschreiten viele Firmen die Quote von bis zu 18 Prozent derjenigen Mitarbeiter, die 40 Stunden arbeiten können. Das geben sogar die Arbeitgeber selbst zu. Und der Betriebsrat hat dabei kein Mittel, die Einhaltung dieser Quote zu überprüfen, weil der Firmenchef dies mit jedem einzelnen Mitarbeiter vertraglich ausmacht.

Die IG Metall ist deshalb nur bereit, über Arbeitszeitkorridore etwa zwischen 30 und 40 Stunden oder über eine Ausweitung von Arbeitszeitkonten zu verhandeln. Alles unter zwei Vorgaben: 35-Stunden-Woche und gewerkschaftliche Hoheit bei der betrieblichen Gestaltung der Arbeitszeit.

Beide Positionen führten bis dato zu schier unüberbrückbaren Differenzen. Auch wenn heute wieder viel von Flexibilität geredet wird. THILO KNOTT