Angst vor dem großen Konvoi

Bisher betreibt Jordanien eine stille Kooperationspolitik mit den USA. Jetzt fürchtet man den Transport riesiger Mengen von Kriegsmaterial durchs Land

aus Amman KARIM EL-GAWHARY

„Lasst uns für den Sieg unserer Brüder im Irak beten“, forderte gestern der Imam der großen Al-Hussein-Moschee in der Innenstadt von Amman, bevor sich die Masse der Betenden zu einer seit Kriegsbeginn üblichen Demonstration aufmachte, die von der Polizei im ebenfalls üblichen Knüppelverfahren aufgelöst wurde. Das jordanische Königshaus betet dagegen im Stillen sicherlich darum, dass die militärischen Auseinandersetzungen im Nachbarland nicht zu lange dauern und dass Jordanien nicht noch weiter in den Krieg hineingezogen wird.

Keine Wahl für das Land

Gottes Ohr könnte sich sowohl für des Königs als auch des Imams Gebet taub stellen. Mit Sorge blicken ausländische Diplomaten in Amman derzeit auf den großen Schiffskonvoi, der vor wenigen Tagen den türkischen Hafen von Iskanderun verlassen hat. Dort hatte die US-Armee ihr ursprünglich für die irakische Nordfront gedachtes schweres Material wieder eingeladen. Nun ist es übers Mittelmeer durch den Suezkanal im Roten Meer unterwegs. Zum Golf in den Hafen von Kuwait oder gar in den neu eroberten südirakischen Hafen von Umm Kasr ist es noch weit. Die Vorteile, das Material im jordanischen Hafen Akaba auszuladen und dann über Land an die jordanisch-irakische oder saudisch-irakische Grenze zu transportieren, liegen auf der Hand: Es wäre billiger und das Gerät wäre schneller einsatzfähig. Die US-Truppen könnten dann statt im Norden des Irak im Westen des Landes eine neue Front eröffnen.

Das kleine Jordanien hat weder das politische noch das wirtschaftliche Rückgrat, sich einem solchen US-Ansinnen ernsthaft entgegenzustellen. Die versprochenen 450 Millionen Dollar Entwicklungs- und Militärhilfe aus den USA stehen noch aus, ebenso wie eine Umschuldung von 178 Millionen Dollar. Angeblich ist auch 1 Milliarde Dollar amerikanischer Ausgleichszahlungen für die geschätzten Verluste von 1 bis 1,5 Milliarden Dollar für Jordanien im Fall eines zweimonatigen Kriegs angeboten worden.

Fraglich ist, ob das haschemitische Königshaus überhaupt noch die Wahl hat. „Wenn die US-Militärmaschinerie erst einmal im Gange ist, haben die Gastländer der US-Truppen kaum mehr Karten in der Hand“, warnen diplomatische Kreise in Amman. Dass Jordanien längst als ein solches Gastland fungiert, ist kein Geheimnis. Mehrere tausend Mann US-Sondereinheiten und Helikopter waren zu Kriegsbeginn in den Weiten der jordanischen Wüste stationiert und operieren nun bereits im Innern des Irak. Die amerikanische Operation der Eroberung von Flugfeldern im Westen des Irak in den ersten Tagen des Krieges ging nach Meinung der meisten Militärexperten von jordanischem Boden aus, wenngleich das nie offiziell bestätigt wurde. Doch gerade in den ersten Tagen war auf dem Militärflughafen von Ruweisched unmittelbar an der irakischen Grenze vermehrt Flugverkehr mit Hubschraubern bemerkt worden, die nicht zum Arsenal der jordanischen Armee zählen.

Schon vor dem Krieg waren nach Meinungsumfragen 88 Prozent der jordanischen Bevölkerung gegen jegliche militärische Kooperation mit den USA. Seit Kriegsbeginn dürfte diese Zahl noch gestiegen sein. „Die Iraker haben in der gesamten arabischen Welt einen schweren Eindruck hinterlassen, weil sie der Megamacht USA widerstehen; da ist Jordanien keine Ausnahme“, sagt Muin Rabbani, ein politischer Kommentator in Amman.

Bisher schlängelt sich die jordanische Regierung mit einem Kurs der stillen Kooperation mit Washington und der US-Armee durch. Es seien in Jordanien lediglich US-Soldaten für kleinere Such- und Rettungsaktionen im Irak stationiert, verlautet offiziell immer wieder. Wenn in den nächsten Tagen aber tatsächlich in großem Stil US-Kriegsmaterial im Hafen von Akkaba ausgeladen werden und in Konvois Richtung Irak transportiert würde, ist es mit dieser Politik der Unauffälligkeit vorbei.

König ohne Alternative

Ausländische Diplomaten gehen zwar nicht davon aus, dass das jordanische Königshaus ernsthaft gefährdet werden könnte. Es gäbe keine Alternative zum König und dazu noch eine schlagkräftige Polizei. Doch Muin Rabbani hält für den Fall großer Transporte von US-Material durch Jordanien in Richtung der irakischen Front nicht nur Demonstrationen, sondern auch Anschläge für möglich.

Wenn der Krieg schnell vorübergeht, wird in Jordanien nichts passieren, prophezeite George Hawatme, der Chefredakteur der größten jordanischen Tageszeitung, Rai, vor dem Krieg. Aber, fuhr er fort, wenn es länger dauert, dann Gnade uns Gott. Jetzt kann er Gott noch zusätzlich anflehen, dass die amerikanischen Kriegsfrachter um sein Land einen großen Bogen machen.