Das Buch eines vergeblichen Liebeslebens

„Hoffmanns Erzählungen“ in der Bonner Oper: Offenbachs Held berauscht sich an Erinnerungen, an den Fragen der Literarisierung der großen Lieben des Lebens. Mit einfachen Theatermitteln gelingt Philipp Himmelmann ein Wurf

Vorhang auf – und welch ein Bild bietet sich dem Publikum! Den Bühnen-Kubus umschließen hermetisch tausende von Schubladen – wenigstens 7.777 Zettelkästen. Die Installation von Elisabeth Pedross zu „Hoffmanns Erzählungen“ in der Bonner Oper zeigt die Folgen der Literaturproduktion und ihrer Verwissenschaftung. Ziemlich kafkaesk. Das ist Hoffmanns Welt – heute. In ihr berauscht sich der Held Jaques Offenbachs weniger an seligen Weingeistern oder Hochprozentigerem, als vielmehr am Wort, an Erinnerungen – an den Fragen der Literarisierung der großen Lieben des Lebens. Der Chor der Theatergänger – nichts als Lemuren, entindividualisierte Statisten.

Das Augenmerk gilt ganz überwiegend dem Künstler, der sich die Versuchsanordnungen des Lebens für seine Kunst selbst schafft. Timothy Simpson zeigt einen durchaus intellektuellen Dichter mit Hang zu subjektivistischer Selbstvergessenheit, erweist sich aber auch draufgängerisch beim Begehren: ein Tenor, der mit intelligentem Gefühl und gekonntem Körpereinsatz in Aktion tritt.

Philipp Himmelmann inszenierte eher eine Literatur- als eine Literaten-Oper. Aufgeblättert wird allerdings das Buch eines in der Hauptsache vergeblichen Liebeslebens. Beim nahtlosen Übergang zum zweiten Akt stürzt die Rückwand als Stufe in die leere Bühnenfläche. Auf dem Bett, der einzigen Requisite, liegt Olympia; sie wird für ihren großen Auftritt ausgerüstet und aufbereitet zur Barbiepuppe, die den armen Poeten narrt. Über ihr ein Riesenbild mit dem Popo der Puppe.

Es wechselt mit dem raschen Übergang zum Antonia-Akt, indem die nächste Hülle heruntersaust und so zur zweiten Stufe wird – und die nächste erotische Verheißung schält sich aus den Bettdecken: die Gesangsvirtuosin. Darüber eine honiggelbe Taube, allerdings mit einem roten Loch im Hals. Und zu Giuliettas Liebesintrigen, eigentlich im fernen Venedig beheimatet, sieht man über der dritten Stufe einen Mund mit roten Lippen und einer lecker gerollten Zunge. Mit einfachen Theatermitteln gelang Philipp Himmelmann ein Wurf.

Erich Wächter leistet mit dem wieder erstarkenden Orchester der Beethovenhalle (neuerdings: Beethoven Orchester Bonn) grundsolide Arbeit. Er sorgt für ein zügiges Grundtempo des Ganzen und bringt frischen Wind in manchen Winkel des Tonsatzes, der dem Operettenton verhaftet blieb und mit diesem verstaubte.

Andreas Macco ist als Bösewicht in viererlei Gestalt – Stadtrat Lindorf, Technologie-Händler Coppelius, Dr. med. Mirakel und Zuhälter Dapertutto – der ebenbürtige Widerpart des Protagonisten Timothy Simpson. Ein Ereignis aber ist vor allem auch das Bonner Debüt der noch sehr jungen Rosita Kekyte in der Partie der Antonia: eine Figur wie aus dem Popalbum, eine Stimme wie eine Lerche.

So frisch, modern und intelligent wie mit Himmelmann und seiner Truppe ist Oper derzeit weit und breit nur in Bonn zu erleben. Frieder Reininghaus

Die nächsten Aufführungen finden am 7., 13. und 15. Februar statt.