Ein echtes Ärgernis

Unfreiwillig komische Prüderie, die an den aktuellen Auseinandersetzungen mit zeitgenössischem Tanz um Lichtjahre vorbeigeht: Die Europa-Premiere von Johnson/Long Dance Company aus Austin/Texas auf Kampnagel

Es heißt, der amerikanische Tanz möge das Tanztheater nicht. Der reinen Abstraktion der Körper mag die Johnson/Long Dance Company aus Texas denn aber auch nicht trauen. Es geht um Sex und Sinnlichkeit, „um unverstellte Schönheit“, wie im Programmheft zu lesen ist. Themen, die sich im Tanz meist zwangsläufig aufdrängen, die schon tausendfach verarbeitet worden sind und immer noch erhellende Einsichten bringen können. Soweit sich Choreographen auf eine intelligente Neuordnung von Körperzeichen verstehen. Und nicht wie im Fall von Darla Johnsen und Andrew Long, die jetzt auf Kampnagel Europapremiere hatten, Zweideutigkeit mit diffuser Unentschlossenheit verwechseln und bei einem langatmig lauen Modern Dance-Aufguss voll von unfreiwillig komischer Prüderie landen.

Nicht die Körperlichkeit allerdings, sondern die Naivität ist peinlich, mit der die drei Tänzerinnen und zwei Tänzer in der Choreographie I stuck my head in the garden tänzerischen Leerlauf mit stoischem Gesicht abgespulen. Und ehrlich gesagt, ist dieses Gastspiel aus Austin/Texas, das Kampnagel für acht Vorstellungen über den Teich geholt hat, ein echtes Ärgernis und zeigt einmal mehr, wie schlecht es um den internationalen zeitgenössischen Tanz auf Kampnagel und damit in Hamburg seit einiger Zeit bestellt ist. Zum ersten Mal reist hier eine Compagnie nach Europa, die Jahrzehnte hinter den Entwicklungen des europäischen Tanzes und Tanztheaters hinterherhinkt. Das ist ziemlich unfair, nicht allein dem Publikum, sondern vor allem den Künstlern gegenüber. Ohne Brechungen und Ironie, weder mit dynamischem Einsatz noch mit technischer Raffinesse ergeht man sich hier in unmotiviertem Synchrontanz mit zaghaften Körperverschlingungen. Das Tanztheater setzte zumindest noch auf Pathos. Dem verweigert man sich hier auch, und zwar zugunsten bedeutungslos fehlgeleiteter Abstraktion. Filmprojektionen von röhrenden Elchen helfen da auch nicht weiter. Als Antwort mimt ein Tänzer den Pausenaffen, der sich am Projektor die Finger versengt. Learning-by-Doing ohne nachhaltige Effekte. In verstärkten Miederhöschen und Zauberkreuz-BHs werden vorsichtige Hüftschwünge und Bauchwellen erprobt. Doch so zwanghaft und dabei ungekonnt, wie sich diese Körper hier um tänzerische Formgebung bemühen, führen sie ihre eigene These von der lebendigen, unverfälschten Individualität selbst ad absurdum.

Es sieht wirklich sehr traurig aus mit dem Tanz in Hamburg. Gegen spektakuläre Kassenfüller wie Deborah Colker aus Brasilien oder das französische „Allegria“-Gastspiel ist nichts einzuwenden. Immerhin zeigen sie wunderschönen, technisch niveauvollen Tanz. Die aktuellen Auseinandersetzungen im zeitgenössischen Tanz werden aber woanders geführt, nämlich in den deutschen und europäischen Kreisen und Netzwerken, aus denen Gordana Vnuk demonstrativ ausgetreten ist.

An diesem Wochenende zum Beispiel findet in Düsseldorf die Tanzplattform Deutschland statt. Mit von der Partie sind die Hamburger Choreographen Antje Pfundner und Jochen Roller mit ihren viel beachteten Choreographien. Dass sie die Einzigen sein werden, die dort ohne die Rückendeckung ihrer Produzenten antreten müssen, ist ein weiterer Skandal. Marga Wolff

6., 7., 11.–14.2., 20 Uhr, Kampnagel