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: Mit Kondomen fürs Leben lernen

Weil sich die ganze Stadt der Berlinale hingibt, Autogramme sammelt und dabei ein Herz für Stars entdeckt, von denen man gar nicht wusste, dass sie überhaupt noch als Stars gelten, werden die wichtigsten, schönsten und möglicherweise auch bedenkenswertesten Meldungen natürlich übersehen. Damit ist nicht nur gemeint, dass sich in der letzten Baugrube des Hauptbahnhofs/Lehrter Bahnhof nach einer exakt 26-tägigen und sowohl unter Bauarbeitern als auch Baustellenfans viel beachteten Pumpaktion kein Tröpfchen Wasser mehr befindet, was sich alles in allem als ein schönes Zeichen dafür deuten ließe, dass es mit Berlin zwar langsam, aber dennoch unaufhaltsam voranzugehen scheint; sondern damit ist auch gemeint, dass eine geradezu fortschrittliche Initiative des Bezirksamtes Treptow-Köpenick bei von offenbar weniger fortschrittlichen Schulen des Bezirks auf klare Ablehnung und auch Desinteresse stieß. Im Detail ging es darum, dass das Amt die Idee hatte, Kondomautomaten in den Schulen zu installieren, aber nur eine der 21 Schulen des Bezirks Interesse zeigte. Acht Schulen lehnten ab, zwei mochten sich noch nicht entscheiden, neun waren zu keiner Äußerung bereit. Eine Schule reagierte immerhin mit einem schönen Gegenvorschlag und forderte einen Tamponautomaten.

Der Vorgang ist selbst für unbeteiligte Beobachter in vielerlei Hinsicht interessant. Abgesehen davon, dass man gern wissen würde, wie das Bezirksamt darauf kommt, dass die Schulen, von denen man ständig liest, dass sie unter einer besonders schlechten Ausstattung leiden, zuallererst ausgerechnet Kondomautomaten brauchen, so möchte man außerdem gern erfahren, warum die Schulen wiederum meinen, dass die Schüler keine Kondome brauchen oder keine Kondome brauchen sollten. Ist der gesamte Vorgang nun eher unter moralischen oder unter praktischen Gesichtspunkten zu betrachten? Sind die Kondome für die Benutzung in der Schule oder für den Heimgebrauch gedacht? Müsste die Schule, wenn sie schon Kondome bereithält, nicht auch Räumlichkeiten anbieten, die sich zum Kondomgebrauch eignen? Und gibt es bei Schülern, die die Kondome ja ganz nach Bedarf zu den bekannten Ladenöffnungszeiten in jedem Supermarkt käuflich erwerben könnten, während der Unterrichtszeit überhaupt ein signifikant höheres Bedürfnis nach Verhütungsmitteln? Und was sagt das eigentlich über den Unterricht aus?

Möglicherweise ist es aber auch so, dass die Schulen den praktischen Vorteil von Kondomautomaten schon deshalb nicht sehen können, weil es keinen praktischen Vorteil gibt. Tatsächlich birgt die Ablehnung der Automaten auch ein gewisses erzieherisches Moment, das darin besteht, jene Schüler, die es gewissermaßen ständig während der zweiten oder dritten Stunde überkommt, dahin gehend zu bewegen, sich ihrer Triebhaftigkeit bewusst zu werden. Daraus könnten sie dann den Schluss ziehen, dass es klüger wäre, sich bei Bedarf schon morgens ein paar Kondome mit in den Ranzen zu stecken. Da spart man nicht nur Geld, sondern lernt auch gleich fürs Leben. HARALD PETERS