Das Leben malen

Kampfhubschrauber, die in Wohnungen eindringen, Wohlstandsmüll, der sich nicht mehr beseitigen lässt, Eindrücke von einer Reise nach China, die festgehalten werden wollen: Viele Berliner MalerInnen orientieren sich an der fotografierten Realität

von RICHARD RABENSAAT

Wie ein Hornissenschwarm schweben Kampfhubschrauber bedrohlich durch die hübsche Altbauwohnung. Sie bedrängen den Maler Pablo Alonso in seinem Atelier; die Rotorblätter zersicheln gnadenlos die beschauliche Ruhe der Malerklause. Der Lärm der Straße dringt ins Zimmer. Die Realität fordert ihren Tribut vom vermeintlich weltabgewandten Künstler. Mit der Kombination von Strichzeichnungen im Hintergrund und realistischer Dokumentarmalerei im Vordergrund gelingt Pablo Alonso ein virtuoser Schachzug. Er verbindet schlüssig Malerei und Foto, Privatheit und Weltgeschehen.

Alonso ist Exponent eines Trends, der gegenwärtig nicht nur ihn, sondern eine ganze Garde von Malern beschäftigt. In früheren Zeiten waren Fotorealisten wie Ralf Goings, Richard Estes oder Franz Gertsch vom schönen Schein der Oberflächen fasziniert. Gegenwärtig versuchen Maler wie Kai Althoff und Corinne Wasmuht nicht zuletzt anhand von Vorlagen, die sie am Computer bearbeiten, ihre Sicht der Realität im zweidimensionalen Medium zu formulieren.

Aber auch jenseits von Photoshop und Free Hand finden sich beachtliche Antworten auf das schon immer diskursive Verhältnis von Malerei und Fotografie. Die entstandenen Bilder variieren erheblich in ihren Techniken und Aussagen. Es verbindet sie jedoch eine schon lange nicht mehr gesehene technische Virtuosität. So ist zwar das Motiv der Aquarelle und Bilder von Kerstin Drechsel banal: ein vollgemüllter, restlos aus den Fugen geratener Haushalt. Dosen und Papier, Taschentücher und Plüschtiere, haufenweise Pappschachteln und andere Rudimente kapitalistischen Warenwahns – weder die Umrisse der Wohnung noch der Mensch, der hier wohnt, sind dazwischen noch zu erkennen. Drechsel beherrscht dünne, wässerige Farbverläufe ebenso souverän wie einen verblüffend leichten Farbauftrag in der Ölmalerei. Das von ihr dokumentierte Chaos bekommt durch die gelegentlich schemenhafte, luftige Malweise eine erstaunliche Leichtigkeit. Die steht in deutlichem Kontrast zur sozialen Problematik der Bildserie: dem verwahrlosten „Messie“. Drechsels Blick ist aber unvoreingenommen und so auf besonders intensive Art genau. Nie verleugnet sie ihr Interesse am abgebildeten Objekt. Das unterscheidet ihre Bilder von einem analytischer angelegten Fotorealismus.

Der findet sich beispielsweise in den Bildern von Gabriele Basch. Sie spiegeln das Wesen der Fotografie als künstliches Produkt einer Selbst- oder Fremdinszenierung wider. Aus einer Vielzahl von Schnappschüssen wählt Basch ihre Vorlagen für die nachfolgenden Tafelbilder aus. „Weiß“ ist der Titel der Ausstellung. Die titelgebende Farbe leitet dann auch die Wahl der von Basch inszenierten Fotos. Denn tatsächlich handelt es sich bei den sorgsam auf die Leinwand übertragenen Gegenständen um eine bewusste Inszenierung. Der fotografische Prozess als solcher wird auf der Leinwand thematisiert. Bei der Übertragung eines Fotonegativs malt Basch auch die Stockflecken und unscharfen Schlieren der mittlerweile offensichtlich reichlich angegriffenen Vorlagen mit. Im Ölbild wird aus dem fotografischen Surrogat der Realität eine malerische Wirklichkeit, die über den flüchtigen Moment hinausweist. Gelegentlich streift Basch hierbei in ihren Ornamenten die reine Abstraktion so nah, dass ein Schritt weiter in dieser Richtung sicher kein Fehler wäre.

Während bei Basch der fotografische Bezug immer klar erkennbar ist, bemüht sich der 30-jährige Christopher Lehmphul nach Kräften um Distanz zur ungeliebten Gedächtnisstütze. Denn als solche begreift er das Foto. Lehmphul zeigt eine Reihe von Bildern, mit der er in klassisch-konservativer Manier seine Eindrücke aus China schildert. Als Vorlage dienten Reisefotos. Sein Blick ist der eines Touristen. Seine Sicht auf Landschaften, Städte und Menschen verlässt nie die Position des unbeteiligten, aber durchaus von der Fremdheit des Gesehenen faszinierten Beobachters.

Das wäre nicht weiter erwähnenswert, gemalte pittoreske Landschaftsdarstellungen existieren schließlich zuhauf, nicht nur aus Künstlerhand. Lehmphul aber schafft es mit seinem gespachtelten, beispiellos pastosen Farbauftrag, den Ölschinken Lebendigkeit zu verleihen. Tatsächlich verblüffen die entstehenden Valeurs in ihrer Frische und Direktheit. Lehmphul lässt hier alle Reflexion weit hinter sich und nimmt fulminant die antiquierte Position einer Malerei um der Malerei willen ein.

Christopher Lehmphuhl bis 12. April, Galerie Ludwig Lange, Wielandstr. 26, Di. bis Fr. 11 bis 18.30, Sa. 11 bis 14 Uhr; Gabriele Basch bis 12. April, Galerie Kamm, Almstadtstr. 5, Mi. bis Fr. 13 bis 19, Sa 23 bis 18 Uhr; Pablo Alonso, Galerie 2yK, Am Flutgraben 3, bis 6. April, Do. bis So. 14 bis 19 Uhr