„Jetzt kommt es heraus!“

Seit einer Woche gibt es in Moabit eine Fixerstube. Sehr zum Ärger der Anwohner. Auf einer CDU-Bürgerversammlung geht’s zur Sache: Schuld sind die Drogenhilfe und wieder einmal die SPD

Michael Frommhold:„Konsumraum, das ist doch ein viel zu positiv besetzter Ausdruck“

VON BERNHARD HÜBNER

Der Mann mit den wenigen Haaren windet sich. Er hat das Böse nach Moabit gebracht. Den Abschaum. Die Süchtigen. Rolf Bergmann hat am Montag mit seinem Suchthilfe-Verein BOA einen Drogenkonsumraum aufgemacht. Eine Fixerstube. Die Anwohner sind erbost. „Wir fühlen uns nicht mehr wohl, wenn wir über die Straße gehen“, ereifert sich der Protestführer Jürgen Baar. Rolf Bergmann windet sich nicht mehr. Er kontert. „Was wollen Sie tun? Den Raum zumachen?“ Ein Bürger brüllt: „Ja. Weg damit!“

Die CDU-Mitte weiß, was die konservativ gesinnten Wähler bewegt. Sie hat zur Bürgerversammlung eingeladen, in die Gaststätte Arminiushalle. Auf den Vorhängen der Gaststube sind Blümchen. In der Ecke teilt die „MGD Frohsinn“ mit einer Gedenktafel mit, dass „Singen verbindet“. An der Bar trinken ältere Männer ihr Pils. Sie verbringen ihre Abende dort sichtlich regelmäßig. In Moabit ist die Welt noch in Ordnung. Und Heroinabhängige in Moabit – die kann es aus Sicht der Anwohner ruhig geben, solange man sie nicht sieht. Aber nicht öffentlich in einem Konsumraum. Und erst recht nicht in ihrem Kiez, an der Birkenstraße.

Volker Liepelt sieht ein wenig aus, wie eine Kreuzung aus Thilo Sarrazin und Jürgen Möllemann. Unter Eberhard Diepgen war er einmal CDU-Generalsekretär und Staatssekretär bei der Wirtschaftsverwaltung. Jetzt präsentiert er erst einmal den neuesten Erkenntnisstand christkonservativer Drogenpolitik: „Heroinabhängige sind im gleichen Maß gefährdet, egal, ob sie die Drogen in hygienischem Umfeld konsumieren oder nicht.“

„Wir haben doch nichts davon, dass die Menschen krank sind“, sagt Rolf Bergmann von der Suchthilfe. In der Fixerstube ist die Gefahr geringer, sich beim Spritzen mit Aids oder Hepatitis anzustecken, als auf der Straße. Das hat Volker Liepelt nicht erwähnt. Als ein Zuhörer sich über die Beschaffungskriminalität ereifert, rutscht Bergmann der dumme Satz heraus, hier könnten doch alle froh sein, dass sie sich ihren Alkohol nicht mit Verbrechen besorgen müssten.

Bergmann ist unten durch. Michael Frommhold mögen die Moabiter. Er ist „Mitarbeiter Öffentlichkeitsarbeit“ der Suchthilfe Synanon. Die setzt auf totale Abstinenz. „Keine Drogen. Kein Alkohol. Kein Nikotin.“ Gutmensch Frommhold findet: „Konsumraum, das ist ein viel zu positiv besetzter Ausdruck.“ Und: „Man nimmt den Leuten die letzte Chance, auszusteigen.“ Die versammelten Bürger klatschen. Drogenhilfe mit lauter Abstinenten, das hätten sie auch gern. Dass sie das nicht haben, daran ist für sie an diesem Abend vor allem einer schuld: Christian Hanke, Gesundheitsstadtrat von Mitte, SPD. „Es ist wahr, dass wir keine eigene Bürgerversammlung gemacht haben“, versucht sich Hanke zu verteidigen. „Jetzt kommt es heraus“, schreit ein Bürger. „So ein Blabla“, keift ein anderer. Ein Dritter brüllt: „Wer soll denn das bezahlen? Der Steuerzahler? Das ist eine Riesenschweinerei.“

Später geht es auch noch einmal um die Fixerstube. Rolf Bergmann präsentiert eine erste Bilanz. In den ersten vier Tagen waren im Konsumraum zehn Süchtige. 21-mal hat sich jemand einen Schuss gesetzt. Und es gibt erste Erfolge: An einen Süchtigen wurde eine Entgiftung vermittelt, an einen anderen eine Therapie, an einen dritten eine Wohnung. Was hätten die Abhängigen gemacht, wenn es keine Fixerstube gegeben hätte? Mitarbeiter der Betreiber BOA haben die Süchtigen befragt. Ein paar hätten sich den Schuss in einer City-Toilette gesetzt. Andere im Kleinen Tiergarten oder in einem Hausflur. Eine Bürgerin meldet sich zu Wort. „Ja, es gibt ein Problem im Kleinen Tiergarten oder in den Rathaustoiletten oder in manchen Hausfluhren. Aber das ist 700 Meter weiter. Das ist nicht bei uns.“