Skifahren für Wiedereinsteiger

Wer nach freiwilligen Pausen, Verletzungen oder Operationen wieder Ski fahren will, muss sehr behutsam vorgehen. Ein Spezial-Skikurs im österreichischen Montafon mit vielseitigen Methoden hat gerade bei dieser Zielgruppe gute Erfolge

VON MONIKA RECH

9 Uhr, ehemalige Volksschule Gargellen. Von einem Wandgemälde lacht ein blondes Mädchen mit Blumen in der Hand. Das kleine Haus im österreichischen Gargellen liegt am Ende des schmalen Tals, gleich oberhalb des Dorfes. Hinter der hölzernen Eingangstür riecht es nach einer Mischung aus Sakristei und kleinen Kindern. Noch steckt der Radau der Volksschüler in der dunklen Holzverkleidung des Vorraums – man erahnt, wie sie früher eilig ihre Jacken auf die Wandgarderobe hängten und ins Klassenzimmer verschwanden. Alles wirkt ein wenig von „Heidi“ abgekupfert, aber diese Szenerie hier ist real. Rechts herein geht es zum Schulungsraum. Nur sitzen dort keine Erstklässler mehr, sondern erwartungsvolle Skischüler.

Die Tafel ist zugeklappt. Der Kursleiter steht inmitten des Klassenraumes, an den Wänden geben Bilder von Gebirgspanoramen einen Vorgeschmack auf die Piste. Die Matten liegen bereit, Spekulatius und Tee werden gereicht. Mit ruhiger Stimme führt Michael Widmer-Willam in seine Gedanken zum Skifahren ein. Er spricht von der „Intelligenz des Körpers“ und dem „Alphabet der Bewegung“. Nachdem alle im Schneidersitz hocken, holt er einen dicken Anatomie-Schmöker hervor und erläutert, wie ungeheuer komplex der Fuß aufgebaut ist. „Die Bewegung auf Skiern beginnt im Fuß“, erklärt er. Daher muss man sich damit auskennen, um einen „bombensicheren Stand“ zu kriegen.

Die Kursteilnehmer schweben im Walzerschritt durch den Raum. Kein Wunder, dass der Skiunterricht von Tanzeinlagen durchdrungen ist, schließlich ist der gebürtige Vorarlberger Tänzer mit einem Engagement in Wien und choreografiert eigene zeitgenössische Stücke. „Skifahren ist sehr ästhetisch“, schwärmt er. Wenn er das sagt und dabei den Raum mit seinen Bewegungen einnimmt, bleiben keine Zweifel daran. Der Skiunterricht setzt Methoden wie Yoga und Elemente des zeitgenössischen Tanzes ein. Ziel der Übungen ist: ein sicheres, leichtes rhythmisches Skifahren. Besonders für Wiedereinsteiger und Menschen mit Vorverletzungen aller Fahrniveaus.

Der Kursleiter klappt die Tafel auf. „Bewegung beginnt dort, wo wir das Gleichgewicht aufgeben, um ein neues Gleichgewicht wiederzuerlangen.“ Mit gezielten Übungen machen sich die Teilnehmer daran, ihre Bodenhaftung zu verbessern, um das Gleichgewicht zu stärken – eine wichtige Voraussetzung, um auf der Piste kraftsparend unterwegs zu sein.

11 Uhr, auf der Piste. Skier unter den Füßen. Noch ein paar einleitende Worte und Lockerungsübungen, und danach setzt sich der Kurs in Bewegung. Ganz langsam lässt der Trainer die Teilnehmer die Piste an wenig befahrenen Passagen queren. Fast horizontal erst, später dann auch steiler bergab. Ziel ist es, die Schwerkraft spielerisch zu erfahren. Wie ein Vogel schwingen die Teilnehmer ohne Skistöcke über die Piste, versuchen konzentriert in fließenden Bewegungen zu gleiten.

Eine Teilnehmerin freut sich besonders. Sonrid Moraw hat seit 13 Jahren nicht mehr auf Skiern gestanden. Vor etlichen Jahren war die Sportliebhaberin eigens nach Kitzbühel gezogen, um ihrem Hobby möglichst intensiv nachgehen zu können. Doch die Freude währte kurz. Auf Schmerzen in den Knien folgte die schon befürchtete Diagnose: Arthrose in beiden Gelenken. Ihr Schicksal schien besiegelt, Skifahren weiter weg denn je. Heute hat die 62-Jährige zwei künstliche Kniegelenke und traut sich das erste Mal wieder in ihr geliebtes Element. „Sanfte Hänge und leichtes Fahren sind für die Kniegelenke sogar positiv“, erklärt Monika Lakics, Physiotherapeutin im Gargellener Team. Die einzige Sorge bereitet ihr, dass die Teilnehmerin derart beflügelt manchmal schwer zu stoppen ist im beschwingten Rausch auf der Piste.

16.30 Uhr. Rückkehr ins Schulungshaus. Tees und Vollkorngebäck hellen die bereits strahlenden Gesichter der Teilnehmer weiter auf. Zum Tagesausklang müssen dann alle noch einmal auf die Matten. Dehn- und Kräftigungsübungen sollen den Tag des Skikurses abrunden, bevor es zum gemeinsamen Abendessen geht. Das Hochgefühl tragen die Teilnehmer stolz in ihren Gesichtern. Sie sind froh, dass sie endlich wieder angstfrei fahren können.