peter ahrens über Provinz
: Holländer zu Belgiern

Die Niederländer schielen zum südlichen Nachbarn – und das liegt nicht an Pommes mit Oorlogsauce

In meinem Fernsehapparat in Rotterdam ist nur Wüste und Verwüstung. An die Wüste habe ich keine Kindheitserinnerungen. Und Verbindungen zwischen der Beton-Tristesse der hiesigen City und der Ödnis des flächenbombardierten Zweistromlandes möchte ich nicht herstellen. Obwohl hier in Rotterdam die Versuchung, Parallelen zwischen Vergangenheit (Ju 52) und Gegenwart (B-52) zu ziehen, groß wäre. Mithin ist Rotterdam die Stadt, in der jedes Gebäude in der Innenstadt höchstens 60 Jahre alt ist und mindestens 30 Stockwerke hat. Nur das wahrhaft so heißende World Trade Center WTC, die Rotterdamer Börse, hat lediglich fünf Stockwerke. Typisch niederländisches Denken: Man weiß ja nie.

Für den Krieg haben die Niederländer das ebenso rätselhafte wie schöne Wort „oorlog“, das ich in den ersten Tagen meines Hollandaufenthaltes aus unerfindlichen Gründen gerne mit dem Wort „ontbijd“ verwechselt habe, was allerdings Frühstück heißt – sodass ich bereits Wochen vor Kriegsbeginn im Café mit geradezu seherischer Kraft mehrfach Krieg bestellt habe und entsprechend irritiert behandelt wurde. Als der Krieg dann tatsächlich wie bestellt kam, hat er auch in Deutschlands Nachbarland schwerste Verwerfungen angerichtet. Zum Beispiel die, dass es Guido Knopp unter dem Etikett „de bekende Duitse historicus“ in der Vorwoche gar auf die Titelseite niederländischer Zeitungen schaffte, nachdem er in der Bild-Zeitung Basra und Stalingrad zu einem seiner üblichen Wald-und-Wiesen-Historien-Cocktails zusammengerührt hat. Leute, die einen gemeinhin dazu bringen, Deutschland auf Dauer den Rücken zu kehren, holen einen auf diese unvermittelte Weise wieder ein. Es ist eben Krieg.

Dagegen gibt es die Möglichkeit, an jeder holländischen Imbissbude die Frittensauce „Oorlog“ auf seine Pommes zu bestellen, schon länger als erst zwei Wochen. Die Oorlogsauce, ein Gemisch aus Mayonnaise und Erdnussbutter, schmeckt tatsächlich so, als sei sie in den Anthrax-Labors der biologischen und chemischen Waffenproduzenten produziert worden und dem bedauernswerten Herrn Blix beim Untersuchen versehentlich durchgerutscht, da Rotterdam normalerweise nicht auf der wöchentlichen Agenda der UNO-Inspektoren steht. Ein Kollege hat in der Kantine neulich die bisher unwiderlegte Behauptung aufgestellt, nächst den Samen seien die Niederländer das Volk mit der niedrigsten Esskultur ganz Europas.

Offiziell halten sich die Niederlande aus diesem Krieg heraus und haben sich dafür auf die nebelumwaberte Formel „politische Unterstützung der USA ja, militärische nein“ geeinigt. Was das konkret bedeutet, weiß kein Niederländer so genau zu erklären, obwohl die Jungs im Den Haager Außenministerium immer ganz fuchsig werden, wenn man ihnen das vorhält. Dann bekommen die hohen Beamten puterrote Köpfe, schieben ihre Bäuche noch ein Stück weiter nach vorn und behaupten, ihr Standpunkt sei mindestens so klar wie der Deutschlands. Anschließend holen sie zu einer zwanzigminütigen weitschweifigen Erläuterungssuada aus, nach der man genauso schlau ist wie vorher. Als jedoch bei der ersten Kriegspressekonferenz der US-Streitkräfte ein hoher niederländischer Militär neben US-Befehlshaber Franks auftauchte und sich zwischen Groningen und Amsterdam alle fragten, was der da denn zu suchen habe, zogen die Beamten im Außenministerium ihre Bäuche ein und waren ganz still. Um die Verwirrung noch ein bisschen zu steigern, ändert die oppositionelle sozialdemokratische Parteiführung ihre Ansicht zum Krieg mittlerweile täglich – es wird so lange nachgeschlechtert, bis die Bush-getreuen Christdemokraten sie endlich gnädig als Koalitionspartner in die Regierung aufzunehmen gedenken.

Frustrierten Holländern bleibt angesichts ihres politischen Chaos nichts anderes übrig, als auf Transparenten bei der Friedensdemo in Amsterdam den Ministerpräsidenten des kriegsgegnerischen südlichen Nachbarn anzubetteln: „Herr Verhofstadt, kann ich bitte Belgier werden?“ Ein Schritt, der bei einem Volk, das den Belgierwitz zum kulturellen Gut erhoben hat, auf allergrößte Verzweiflung schließen lässt.

Die Fußballfans des PSV Eindhoven hatten an dem gleichen Wochenende, an dem die Friedensdemo sich durch Amsterdam schob, übrigens auch ein Transparent gemalt. Für das Schlagerspiel gegen den Intimfeind Ajax Amsterdam plakatierten sie: „Mister Bush, vergessen Sie Amsterdam nicht.“ Ganz im Sinne des Startrainers, General Rinus Michels. Der hat sich in den Niederlanden schließlich dereinst unsterblich gemacht durch den Satz: „Voetbal is oorlog.“

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