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: Europäische Drohkulissen statt US-Interventionismus

Seit die USA den Irak angegriffen haben, war ihr Außenminister von der Bildfläche verschwunden. Kein Wunder, denn Colin Powell war in der amerikanischen Regierung eindeutig der Verlierer. Schließlich hatte er lange darauf gesetzt, den Konflikt multilateral zu lösen und die UNO einzubinden. Zuletzt war er mit seinem Versuch gescheitert, den Krieg mit einer zweiten Resolution des UN-Sicherheitsrates zu legitimieren. Eigentlich hätte er zurücktreten müssen.

 Vorgestern tauchte ein kriegerisch gestimmter Powell aus der Versenkung auf, um Syrer und Iraner vor einer Einmischung in den Krieg zu warnen. Gestern waren die Türken dran. Powell fuhr nach Ankara, um zu verhindern, dass deren Armee in den Nordirak einmarschiert und den Amerikanern der Krieg noch mehr aus den Händen gleitet als ohnehin schon.

 Morgen schließlich will der US-Chefdiplomat den Verbündeten von Nato und EU erklären, wie Amerika sich die Zukunft des Nahen Ostens und der internationalen Politik so vorstellt. Von Dialog war nicht die Rede. Wozu auch? Den Europäern fehlt sowieso das Verständnis für die Feinheiten des US-Interventionismus. Wie wenig gesprächsbereit Powell und mithin die US-Regierung ist, zeigte am Sonntag sein Auftritt vor dem „American-Israelic Public Affairs Committee“ in Washington. Schon da signalisierte er, dass nur die USA die „Roadmap“ für den Frieden im Nahen Osten haben. Ihre Wege führen über den Krieg – und zwar nur vorerst gegen den Irak.

 Dass er mit dieser Haltung in Brüssel nicht gerade neue Freunde finden wird, dürfte ihm so klar wie egal sein. Powells Postulat ist Ausdruck eines Dissenses, der nicht nur die nächsten Wochen bestimmen wird, sondern die kommenden Jahre. Seit dem Kriegsbeginn ist klar: Europäer und Amerikaner können sich nicht mehr auf gemeinsame politische und moralische Vorstellungen einigen, die völkerrechtlichen und auch die militärischen Konzepte klaffen auseinander wie nie zuvor. Von Tag zu Tag vertiefen konservative US-Ideologen wie Richard Perle und Robert Kagan die Kluft, indem sie den Europäern wahlweise vorwerfen, arrogant, unfähig zum Handeln oder einfach nur dumm zu sein.

 In dieser Situation bleibt den Europäern nichts, als sich endlich von den USA zu emanzipieren. Politisch-moralisch wird das kein Problem sein – aber militärisch. Denn es stimmt ja leider, was viele Strategen dies- und jenseits des Atlantiks schreiben: Nur wenn Europa überhaupt in der Lage wäre, etwa eine „Drohkulisse“ für Waffeninspektoren aufzubauen, könnten die USA nicht so ungehemmt agieren wie jetzt. DANIEL HAUFLER