Anschlag auf die Moskauer Metro

Bei einer Bombenexplosion werden mindestens 39 Menschen getötet und 120 zum Teil schwer verletzt. Ermittler sprechen von tschetschenischer Spur. Russlands Staatschef Putin macht Tschetscheniens Präsidenten Maschadow für die Tat verantwortlich

AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH

Bei einem Anschlag auf die Moskauer Metro starben gestern mindestens 39 Menschen und 120 wurden zum Teil schwer verletzt. Der Sprengsatz explodierte gegen 8.30 Uhr in der Hochzeit des Pendlerverkehrs. Das Rettungspersonal geht davon aus, dass die Zahl der Opfer noch steigen könnte. Auch am Nachmittag stießen die Bergungstrupps immer noch auf Leichenteile. Der Anschlag ereignete sich im Süden Moskaus zwischen den Stationen Pawelezker Bahnhof und Autosawodskaja. Diese Linie zählt auch außerhalb der Rush Hour zu den meistbefahrenen Strecken des U-Bahn-Netzes. Eine Million Passagiere nutzt täglich allein die „grüne Linie“.

Die Detonation im engen Raum des Tunnels hatte die Wirkung der Bombe um ein Vielfaches verstärkt. Dass der Sprengsatz von fünf Kilogramm TNT ausgerechnet auf dem längsten Teilstück der Linie explodierte und der Pawelezki-Bahnhof zu den tiefer gelegenen Stationen gehört, scheint einer Unfallversion zu widersprechen und auf einen Anschlag hinzudeuten.

Unmittelbar nach der Explosion liefen einige Opfer durch den Tunnel zurück zum Bahnhof Awtosawodskaja. Von innen ließen sich die Türen zunächst nicht öffnen. Erst dem Zugführer, der die Bahn nach dreihundert Metern zum Halten gebracht hatte, gelang dies von draußen. Sonst wäre die Opferzahl noch erheblich höher gewesen.

Informationen vor Ort waren in den ersten Stunden nur schwer zu erhalten. So war erst gegen Mittag klar, dass der Zug in Richtung Zentrum fuhr. Die Polizei ließ unterdessen den Bahnhofsvorplatz räumen, um für Rettungshubschrauber Platz zu schaffen, die Verletzte in Krankenhäuser flogen. Das Gesundheitsminsterium war eifrig bemüht, noch vor getaner Arbeit den vorbildlichen Einsatz der Rettungskräfte zu loben.

Russlands gleichgeschaltete TV-Sender, im Einfangen von blutigen Szenen sonst nicht gerade zimperlich, hielten sich sehr zurück. Aufnahmen vom Ort des Geschehens, wie noch beim Anschlag einer Selbstmordattentäterin im Dezember vor dem Hotel National in der Nähe des Kreml, zeigte das Fernsehen nicht. Das lässt auf eine Weisung von oberster Stelle schließen. Die russischen Agenturen warteten am Vormittag mit einer Eilmeldung auf: Präsident Wladimir Putin widme dem Geschehen äußerste Aufmerksamkeit ! Nach Angaben der Ermittlungsbehörden gibt es bereits eine Spur. Demnach soll auf der Videoüberwachung in der Station Awtosawodskaja ein 30- bis 35-jähriger Mann kaukasischer Herkunft mit zwei Koffern entdeckt worden sein, der zu Mitreisenden angeblich gesagt habe: „Wartet ab, ihr werdet noch eine schöne Überraschung erleben!“

Eilig produzierte Ermittlungserfolge lösen sich in Moskau meist wieder in Luft auf. 2003 wurden in der russischen Hauptstadt mindestens 21 Menschen durch ähnliche Anschläge, die von so genannten schwarzen Witwen verübt worden sein sollen, getötet. Die Witwen sind meistens Tschetscheninnen, die Angehörige im Tschetschenien-Krieg verloren haben. Moskau sieht in den Selbstmordattentäterinnen Handlanger fundamentalistischer islamischer Terroristen. Der tschetschenische Warlord Schamil Basajew ist einer von ihnen. Er drohte Moskau nach der Geiselnahme im Musicaltheater Nord-Ost im Oktober 2002, fünfzig Attentäterinnen auf Russland loszulassen.

Kremlchef Putin machte den 1997 rechtmäßig gewählten tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow für den Anschlag verantwortlich. Dieser hat sich wiederholt von Terroraktionen distanziert. Dennoch hält Putin an dem Feinbild fest. Denn Friedensverhandlungen mit Maschadow würden die Scharfmacher aus Militär und Geheimdienst,seine einzige verlässliche Hausmacht, als ein Eingeständnis der Schwäche werten. Außerdem würde der Präsident damit auch sein Scheitern einräumen.

meinung und diskussion Seite 11