Feinde in der Ferne, Freunde in Berlin?

In Nordirak marschierten türkische Soldaten in das Gebiet der Kurden. Wenn es dort zu Kämpfen kommt, befürchtet Innensenator Ehrhart Körting, kommt es auch hier zu Zusammenstößen zwischen den Angehörigen beider Völker

Ein Albtraum in Beton umgibt das Kottbusser Tor an seiner südlichen Seite. In einem der labyrinthartigen Gebäude haben neben Dönerbuden auch mehrere Migrantenvereine ihre Büros. Im Erdgeschoss die konservative Türkische Gemeinde. Im ersten Stock die Mevlana-Moschee. Hier treffen sich strenggläubige türkische Männer fünfmal am Tag zum Gebet und zum Schwatz. Direkt nebenan geben sich Kunden des türkischen Versicherungsbüros die Klinke in die Hand. Sichtbetontreppen führen zum zweiten Stock, ein Riesenposter klebt dort auf einer Stahltür. Mit erbostem Blick schaut dort PKK-Führer Abdullah Öcalan einem in die Augen. Hier, im Verein Mala Kurda, zu Deutsch Kurdenhaus, fordern Anhänger seine Freilassung aus dem türkischen Gefängnis. Alles ist friedlich. Keine Spur von Feindseligkeiten zwischen Türken und Kurden.

„Wir haben hier keine Feindschaft von den Türken erfahren“, bestätigt Ahmet Turhan, ein Vorstandsmitglied von Mala Kurda. „Die Türken respektieren uns sogar. Sie gehen ihren Geschäften und den Gebeten nach und wir betreiben unsere Kulturaktivitäten. Spannungen? Nein, die gibt es zwischen uns nicht.“

Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat dennoch Befürchtungen. In der Hauptstadt lässt er die türkischen Einrichtungen genau so bewachen wie die Institutionen der kriegsführenden Parteien USA und Großbritannien. So gab es vom Berliner Senat erhöhte Sicherheitswarnungen, hinsichtlich Konflikten zwischen Kurden und Türken.

Hintergrund sind die militärischen Aktivitäten der Türkei im Nordirak. Seit Wochen zieht Ankara in Erwägung, die bereits im kurdischen Nordirak stationierten Truppen zu verstärken. Der Grund: Die Türkei möchte einem eventuell einsetzenden Flüchtlingsstrom gegensteuern, bevor dieser die Landesgrenzen erreicht. Irakisch-kurdische Gruppen hingegen haben erklärt, sie würden die türkischen Truppen bekämpfen, wenn der Einmarsch erfolgt. In den 90er-Jahren, als in der Türkei der Bürgerkrieg zwischen Türken und Kurden tobte, wurden mehrmals Brandanschläge auf türkische Geschäfte und Einrichtungen in Berlin verübt.

Doch Ähnliches scheint sich nicht zu wiederholen. Safter Cinar, der Sprecher des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg, glaubt nicht an eine Konfliktgefahr in der Hauptstadt. „Die Auseinandersetzung zwischen Türken und Kurden ist grundsätzlich friedlich gelaufen. Ich habe von niemandem gehört, dass er sich Sorgen um das Hier macht. Alle machen sich Sorgen um das Dort, wo der Krieg ist.“

Zwei ältere türkische Männer, die vor einem Kiosk sitzen und in der warmen Sonne ein kaltes Bier genießen, sehen in der Strategie Ankaras keine Probleme. „Ich glaube nicht, dass die Türkei zurzeit vorhat, dort einzumarschieren“, behauptet einer. „Sie macht sich nur Sorgen wegen der PKK. Damit die PKK nicht ins Land eindringt, muss die Türkei dieses Gebiet besetzen.“ Jüngere Kreuzberger Türken und Kurden machen sich noch weniger Sorgen. Ein Teenager in Hiphop-Klamotten auf der Oranienstraße kann sich überhaupt nicht vorstellen, dass sich Freunde wegen so etwas streiten können. „Wir sind doch alle hier geboren und aufgewachsen“, meint er, „noch nie ist so etwas vorgefallen zwischen Kurden und Türken. Wir diskriminieren doch niemanden. Heute sind alle Freunde: Türken, Araber, Kurden …“

Ein junger Muslim, der mit seiner bedeckten Frau und zwei kleinen Kindern zwischen den Sozialwohnungen spazieren geht, versteht nicht einmal die Frage. „Warum sollte es Zusammenstöße in Berlin geben?“

Lediglich Ünal Yardimci, Kader der sozialistisch geprägten Kurdenorganisation Komkar, weist auf eine Gefahr hin: „Dass die türkische Armee einem Teil des kurdischen Volkes einen Krieg aufzwingt, ist natürlich auch für die Kurden im Ausland nicht akzeptabel“, sagt er. „Wenn unsere Brüder dort unter türkische Panzer geraten und Ziel türkischer Kugeln werden, kommt es hier selbstverständlich zu Emotionen. Es könnten unerwünschte Dinge passieren“, orakelt er. Hinter den „unerwünschten Dingen“ vermuteten deutsche Sicherheitsbehörden bislang meist PKK-Aktivisten. Doch bei Mala Kurda will man davon nichts wissen: „Kein Mensch muss sich sorgen, wir werden keine Krawalle machen und niemanden überfallen.“ CEM SEY