Aus der Nase kommt Dreck

An der amerikanischen Botschaft Unter den Linden gehen Mahnwachen gegen den Krieg weiter. Das Peace-Camp entwickelt sich zur festen Institution für Friedensaktivisten und andere US-Gegner

„Wir denken positiv und wollen den Frieden aktiv vorleben“„Die dachten, wir hauen nach zwei Tagen wieder ab. Aber wir bleiben“

von JULIANE GRINGER

Wenn sich Shalom abends die Nase putzt, „kommt ganz viel Dreck mit raus“. Die 21-Jährige campiert seit fast zwei Wochen Unter den Linden, vis-à-vis der amerikanischen Botschaft. Dort hat sie mit Freundin Janana das Peace-Camp gegründet. „Wir sind für den Frieden“, erklärt Shalom.

Drei Fahrspuren rechts, drei links, den ganzen Tag Abgase. Verdammt viel Staub weht über den Grünstreifen. Daher kommt der Dreck in Shaloms Nase. Die Klamotten müssen täglich gewaschen werden – die Peace-Camp-Bewohner auch. Das erledigen sie zu Hause oder gehen zu hilfsbereiten Anwohnern. Die spenden auch Essen und Farben für die Plakate. Eine Frau kommt jede Nacht „um zwei, gerade wenn es arg kalt wird“, mit feuriger Suppe.

Dienstagnachmittag: Die „Küche“ des Camps steht neben der Ampel, Jördis, Bettina und Désirée waschen gerade ab. Ein Reisebus fährt vorbei, die Insassen gucken verdutzt. Die drei Mädchen winken ihnen zu. Sie kommen jeden Tag nach der Schule an die Botschaft. Abends gehen sie wieder nach Hause. Viele ihrer Mitstreiter – „Studenten, Banker, Rettungsassistenten“ – kommen dann erst zum Lager. Je kälter es wird, desto enger rücken sie zusammen. Es ist hier völlig schnurz, wer man ist oder woher man stammt.

Aus einer Spontandemo am Tag des Kriegsbeginns ist ein Camp geworden. Ein Friedenscamp für jedermann. Und mit Genehmigungen, Abwaschen und Suppekochen, mit Redekreisen, Konzerten, Gebeten, Aktionen für Kinder und mit Lagerfeuer und Gitarrenmusik nachts um drei. Das Lager hat keine Führung, trotzdem muss alles funktionieren. Alle halten zusammen, jeder packt mit an.

Auf etwa dreißig Quadratmetern haben die Camper ein Zelt aufgebaut, äh nein, „Transparente“ gespannt, unter denen sie Vorräte lagern: Essen, Holzkohle, Tee. Ein richtiges Camp dürfen sie nicht sein, dürfen nicht auf dem Grünstreifen übernachten. Deshalb gehen sie zum Schlafen nach Hause. Aber manchmal nickt auch jemand im Schlafsack auf der Matratze ein. Touristen kommen vorbei, machen Fotos.

Die Nacht zum Mittwoch, kurz nach zwölf: Ein Stuhlkreis umschließt eine Tonne, in der Feuer brennt. Flammen schlagen hoch. Die Camp-Mitglieder sitzen um die Tonne, singen „Guantanamera“ oder „La Bamba“. Hinter dem Zelt, jenen Transparenten, haben sie eine „Kuschelecke“ eingerichtet. Schmusen für den Frieden. „Wie im Ferienlager“, ruft einer. Shalom schreit: „Ich habe euch alle liiiiieb!“.

„Wir wollen positiv denken“, fasst Jens, Mitbegründer des Camps, ihre Intention zusammen. „Und wir wollen den Frieden aktiv vorleben.“

Jens kommt aus Duisburg und nennt sich einen „Weltmensch“. Er ist durch Spanien getingelt, hat in einem Dorf, wo alle friedlich zusammenleben, Projektarbeit gemacht. „Mensch, du grinst heute schon den ganzen Tag“, haut ihn Dirk im Dunkeln auf der Matratze an. Jens’ Freundin Esther war vorhin zu Besuch, seitdem hat der Rasta-bestückte Peace-Camper ein Lächeln auf den Lippen festgetackert.

Tagsüber fehlt dem Camp ein bisschen der Spirit. „Das Lager zieht eben Menschen jeder Couleur an“, formuliert es der 36-jährige Lothar vorsichtig. Mit seiner Freundin Heike kommt er gerade aus Gran Canaria. Dort haben sie nach einer „spirituellen Lebensgemeinschaft gesucht, die „natürliche Ressourcen sinnvoll nutzt“.

Auch in der Schweiz und Italien waren sie schon auf der Suche. „Aber die meisten wollen nur abzocken“, so Heike. Dienstagnachmittag, am ersten Tag des neuen Monats, ist es ziemlich leer im Camp. „Die meisten sind auf dem Sozialamt.“

Nachmittags: Lothar sitzt auf einem Gartenstuhl in der Sonne. Er doziert, was ihm an der Welt stinkt, dass die Deutschen sich von einer Regierung rumschubsen lassen, die „den Krieg unterstützt“. Lothar fordert globale Abrüstung, Abschaffung des Geldes und das Verbot politischer Parteien. Er spricht ruhig, entschlossen, so als wolle er gleich von seinem Stuhl aufstehen und losgehen. Lothar bleibt sitzen.

Ein Stefan aus Ludwigshafen hüpft fröhlich vorbei, setzt sich kurz zu den Campern. Er hat das Beste gemacht, „wo überhaupt geht zurzeit“, erklärt er. Er ist zum Islam übergetreten, gerade letzte Woche. Natürlich nicht nur wegen dem Krieg, das wollte er auch vorher schon, das mit dem Islam. „Manchmal hat das hier was von einer offenen sozialpsychologischen Beratungsstelle“, meint Lothar trocken.

Ein heftiger Windstoß fegt die Plakate weg, in der „Küche“ ist ein Glas zu Bruch gegangen. Lothar und Heike helfen, wieder alles fest zu zurren, und bringen einige Transparente in Sicherheit. Jeden Morgen um neun muss hier alles tipptopp sein. Anordnung vom Ordnungsamt.

Das Amt ist kritischer geworden. „Die dachten wahrscheinlich, wir würden nach zwei Tagen wieder abhauen“, meint Lothar. Aber bis zum Ende des Kriegs werden die Peace-Camper bleiben. Mit den Polizisten kommen sie gut klar. Nur manchmal wird zu viel Alkohol getrunken im Camp. „Punkige Energien“ nennt Jens das. Doch die Lagerleute regeln so was schon unter sich. Shalom weist einen Friedensaktivisten mit Bierdose an, die Büchse wegzuwerfen. „Wir wollen keinen Ärger“, sagt sie.

Nachts bleibt der „harte Kern“. Die punkigen Energien haben sich einen anderen Schlafplatz gesucht. Die Gründer des Camps und ihre Mitstreiter hängen rum, quatschen, löffeln Suppe.

Ein hupendes Auto fährt durchs nächtliche Berlin an ihnen vorbei. Die Camper pfeifen. Hupen für den Frieden. Greenpeace ist mit dem mit Kerzen bestückten Peace-Zeichen und Glocke weiter Richtung Brandenburger Tor gewandert. Sie haben Platz gemacht für die „Soundpiraten“, eine HipHop-Combo, die spontan Konzerte gibt, auch gestern Abend wieder. Jammen für den Frieden. Die PDS nebenan hat aufgerüstet. Vor anderthalb Wochen noch mit einem popligen Stand zur „Mahnwache“ neben dem Peace-Camp vertreten, gehen sie jetzt mit großem Fernseher und Charts-Beschallung betont jugendlich auf Stimmenfang. Dass der PDS-DJ immer DJ Bobo auflegt, nervt die Peace-Camper. „Die spielen immer Freedom“, so Dirk. „Ey Mann, das heißt doch Freiheit und nicht Frieden.“ Dirk ist nach Berlin gekommen, weil man hier noch was bewegen kann. Im Camp fühlt er sich wohl. „Hier werde ich akzeptiert und kann auch mal weinen.“

Der schwarze Himmel wird noch dunkler. Es fängt an zu regnen. Die Camper bringen Matratzen und Decken in Sicherheit. Und laufen rüber zur PDS unters Partyzelt.