Die Playstation im Pentagon hat versagt

Der Krieg gegen den Irak ist kein Spiel aus dem Computer, auch wenn er manchmal im Fernsehen so auszusehen scheint. Denn die Computerspiele, die wirklich gespielt werden, zeigen nicht den wirklichen Krieg, auch dann nicht, wenn sie versuchen, das Schlachtfeld so realistisch wie möglich abzubilden

von KONRAD LISCHKA

Durchaus seriöse Medien wie der Spiegel, die Welt oder auch der Mitteldeutsche Rundfunk haben das, was heute vom Krieg im Irak zu sehen ist, mit einem Computerspiel verglichen. Was sie damit meinen, haben sie nicht weiter ausgeführt. Versucht man es, stellt sich der zweifellos populäre Vergleich als ziemlich schiefe Metapher heraus.

Die wohl simpelsten Merkmale für eine Parallele von Krieg und Spiel suchen und finden Kritiker auf der Erzählebene. Zum Beispiel die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BPjM), als sie das Echtzeit-Strategiespiel „Command & Conquer: Generals“ indizierte. Die Begründung kritisiert die Nähe zur Realität: „Schon die erste Mission in der Kampagne der USA scheint den Abendnachrichten entsprungen zu sein.“ Tatsächlich muss der Spieler in Bagdad einer Terrororganisation die Massenvernichtungswaffen entwenden. Selbstmordattentäter und Schläfer gehören realistischerweise auch dazu – und gelten als jugendgefährdend, eben weil sie der Realität gleichen.

Doch Kritik an der Erzählung greift zu kurz. Denn Computerspiele erzählen im strengen Sinne eigentlich nur in den Pausen. Dann laufen Filmsequenzen, Comicpanels oder einfach nur Textzeilen ab und treiben die Handlung voran. Es ist ein relativ neues Phänomen, dass Strategiespiele wie „Command & Conquer: Generals“ halb fiktionale Ereignisse als narrative Unterfütterung benutzen. Als solche Echtzeit-Strategiespiele Mitte der Neunzigerjahre populär wurden, nutzten Titel wie „Dune II“ oder „Warcraft“ Szenarien aus einer fernen Zukunft oder dem Fantasy-Genre.

Halb fiktionale Plots gab es zwar schon in den Konfliktsimulationen der Achtzigerjahre. Doch damals beschränkten sich die Titel darauf, aus der Geschichte allein die militärischen Einheiten, Fahrzeug- und Waffentypen zu übernehmen. Nicht die Erzählung von der Geschichte reizte die Spieler bei Titeln wie „Empire“, sondern das Experimentieren mit verschiedenen Einheiten und Taktiken – ähnlich wie beim Schach.

Dass heute selbst die einst so abstrakten, allein als intellektuelles Experiment reizvollen Strategietitel in den Spielpausen von halb fiktionalen Konfliktszenarien erzählen müssen, ist vor allem ein ästhetisches Problem. Die Entwicklung verläuft parallel zum Boom des Reality-TV und vermeintlich historischer Filmstoffe. Alle Medien leiden darunter, dass der Reiz des vermeintlich Realen die große zivilisatorische Errungenschaft übertrumpft, ein Schauspiel wegen der Inszenierung und nur als Inszenierung genießen zu können.

Vorbild Fernsehen

Wer Kriegsspiele wie „Command & Conquer: Generals“ sogar als Vorbild für den Irakkrieg darstellt, verwechselt Ursache und Wirkung. Solche Titel saugen die scheinbare Authentizität aus der Wirklichkeit anderer Medien. Deren Erzählungen sind ein billiges Mittel, die Aufmerksamkeit der Spieler zu binden und ihre Erregung zu steigern. Offenbar vertrauen die Designer nicht auf die Qualität des Spiels an sich.

Ohne den Afghanistankrieg und die Drohungen gegen den Irak gäbe es „Command & Conquer: Generals“ gar nicht. Doch über die Erzählebene hinaus zielt die Kritik am Krieg als Spiel häufig auf die Qualität der Bilder. Exemplarisch dafür ist eine Behauptung aus Spiegel Online: „Die Liveübertragungen von der Front, vor allem die unscharfen und gepixelten Bilder der Reporter via Videophone, erinnern in ihrer Ästhetik stark an Computerspiele.“

Schleierhaft, welches Computerspiel hier gemeint ist. Auf jeden Fall keines der vergangenen sechs Jahre. Grob aufgelöste, leicht verwackelte Bilder transportieren nur im Fernsehen Authentizität. In Computerspielen gilt hingegen das Dogma des Fotorealismus. Andere, weniger perfekte Darstellungsweisen sind weder authentisch noch verkaufsfördernd. Selbst Strategiespiele entfernen sich von der sehr abstrakten Darstellung, die in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren üblich war. Damals stellten Titel wie „TacOps“ oder „Battle Isle“ grausame Schlachten abstrakt als Zahlen und farbige Punkte dar – aus der Feldherrenperspektive eben.

Schon länger gab es aber auch die Perspektive des Individuums auf dem Schlachtfeld, visuell sehr konkrete Spiele wie etwa „Doom“, die aus der Egoperspektive zeigen, wie man andere Spielfiguren ermordet und wie man selbst getötet wird.

Heute verschwimmen beide Darstellungsmodi: „C&C Generals“ zeigt den Krieg zwar aus der auktorialen Perspektive, doch die Grafik ist so hoch aufgelöst, dass Spieler sich nah genug ans Geschehen zoomen können und dort etwa erstickende Soldaten sehen. Aber selbst das provoziert Kritik seitens der BPjM. Offenbar dürfen Spiele Krieg weder abstrakt noch konkret inszenieren.

Die Regeln des Spiels

Die dritte und wichtigste Ebene eines Spiels spricht die aktuelle Kritik fast nie an: die Regeln. Jedes Spiel muss Gewinn und Verlust klar definieren, schon während des Spielverlaufs. Bei Computerspielen lernt man diese Regeln sukzessive. Dieser Lernprozess zieht mit vielen kleinen Regeln systematisierte, wertende, spielweltanschauliche Grenzen – jedes Spiel hat somit eine Ideologie. Sie schränkt das potenzielle Verhalten der Spieler ein. Das geschieht unbemerkt, weil der Spieler die Regeln verinnerlicht und freiwillig befolgt. Denn er will gewinnen. Kapitulation oder Friedensverhandlungen sind in wenigen der aktuellen Konfliktsimulationen eine Option. Und selbstverständlich kann man in Egoshootern weder desertieren noch zum Gegner überlaufen.

Das ist zunächst nicht weiter schlimm. Denn ein Spiel zeichnet sich durch Regeln aus, die in dieser Form nirgendwo sonst gelten: „In der Sphäre des Spiels haben die Gesetze und Gebräuche des gewöhnlichen Lebens keine Geltung“, schrieb 1938 der Kulturhistoriker Johan Huizinga.

Lebensgefährlich werden solche Regeln erst dann, wenn versucht wird, sie außerhalb des Spiels anzuwenden, für das sie gelten. Diese Gefahr besteht vielleicht – einen entsprechenden geistigen Zustand der Spieler vorausgesetzt – bei kommerziellen Strategietiteln. Wirklich Besorgnis erregend ist das erst, wenn Militärs solche Spiele zum Erproben verschiedener Strategien einsetzen. Schon preußische Offiziere trainierten im 19. Jahrhundert mit Miniaturen auf Sandflächen, die zu immer detaillierteren topografischen Karten wurden.

Damals überwachten Schiedsrichter die Einhaltung der im Regelbuch kodifizierten Gesetzmäßigkeiten des Kriegs. Seit der Adaption von George Gamows Kriegsspiel „Tin Soldier“ zum computerbasierten „Maximum Complexity Computer Battle“ berechnen Computer die Einhaltung der Regeln. Doch noch immer formulieren Menschen diese Regeln – auf Basis immer unvollkommener Informationen. Deshalb gab es in den amerikanischen Kriegsspielen während des Zweiten Weltkriegs keine japanischen Kamikazepiloten, bis sie in der Realität auftauchten. Und deshalb muss nun das US-Zentralkommando eingestehen, dass irakische Einheiten sich anders verhalten als erwartet.

Als Spiel missverstanden, scheitert jeder Krieg an der Realität. Johan Huizinga schrieb: „Soweit in dem unmenschlichen Hirngespinst des Freund-Feind-Prinzips ein Schimmer von Richtigkeit steckt, muss sich der Schluss ergeben: Nicht der Krieg ist der Ernstfall, sondern der Frieden. Der Krieg, mit allem, was ihn heranbringt und was ihn begleitet, bleibt jederzeit in die dämonische Zauberfessel des Spiels verstrickt.“

KonradLischka@gmx.de