Die Egotaktikerin kalkuliert neu

Kaum hat sie ihren proamerikanischen Kurs in der Unionsfraktion durchgesetzt, deutet CDU-Chefin Angela Merkel eine vorsichtige Wende an

Merkel zeigt, dass sie den Wechsel zwischen Stand- und Spielbein beherrscht

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Allmählich ist Angela Merkel die ewigen Fragen leid. Warum sie denn in ihren vielen Auftritten zum Irakkrieg kein einziges Mal mit dem Finger auf die USA zeigt – diese Frage muss sich die CDU-Chefin häufiger anhören, seit sie selbst so manchen Parteimitgliedern als George Bushs treue Botschafterin gilt. „Was heißt: mit dem Finger?“, konterte eine genervte Merkel gestern, „ich bin mit dem Fingerzeigen auf ausländische Regierungen sehr zurückhaltend“. Schließlich sei sie Oppositionsführerin in Deutschland. Wer aus ihrer Zurückhaltung „jetzt völlige Gefolgschaft“ ableite, liege aber falsch, wehrte sie sich. Und in der Tat, nach Wochen des proamerikanischen Kurses probt die Vorsitzende eine vorsichtige Wende.

Ehe sie heute Vormittag in der Plenardebatte des Bundestages auf Kanzler Gerhard Schröder antwortet, schickte sie gestern versöhnliche Signale in Richtung Regierungsbank. „Für mich ist der morgige Tag keine reine Fortführung dessen, was bekannt ist“, grenzte sie sich von den bisherigen Auseinandersetzungen ab. Von ihrer Opposition zum rot-grünen Antikriegskurs sei zwar „nichts zurückzunehmen, aber es hilft für die anstehenden Fragen nicht weiter“. Gerade mit Blick auf eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik gebe es schließlich auch „Gemeinsamkeiten mit der Bundesregierung“. Selbst Signale der Distanz zu Washington sind für die Union nicht länger tabu. „Der Glaube, man müsse sich immer fügen, ist falsch.“ Die Amerikaner hätten durchaus Verständnis für Gegenpositionen, wie sie es als Umweltministerin bei den Klimaverhandlungen erlebt habe. Ausdrücklich machte sich die CDU-Chefin auch die Kritik ihres Fraktionskollegen Volker Rühe an den US-Drohungen gegen Syrien und Iran zu Eigen.

Ganz überraschend kommt die Wende nicht. Wie auf anderen Politikfeldern auch beherrscht Merkel in der Außenpolitik den Wechsel zwischen Standbein und Spielbein. Während sie in den letzten Wochen eine kriegskritische Öffentlichkeit wiederholt mit Loyalitätsbekenntnissen zu Bush schockte, hat sie das Recht auf Widerspruch gegenüber den USA nur beiläufig erwähnt. Jetzt macht sie es umgekehrt.

Der Grund? Die Solidaritätsbekundungen mit Amerika haben ihren Zweck erfüllt, denn beide Adressaten haben sie vernommen: die Union und die USA. Bis zur Bundestagswahl 2006 wird Angela Merkel in Washington in Erinnerung bleiben als the lady who stood up for America, die Deutsche, die einstand für einen Partner im Krieg. Wer Kanzlerin werden will, kann von einem solchen Ruf profitieren.

In den eigenen Reihen hat sie den Irakkonflikt für eine Kraftprobe genutzt. Gerade weil ihr Kurs unpopulär war, demonstriert ihr Erfolg in der innerparteilichen Diskussion politische Stärke. So hatte Merkel auf der Fraktionssitzung am Dienstag für ihre Amerikatreue tosenden Beifall erhalten – nach sorgsamer Vorbereitung durch Fraktionsgeschäftsführer Volker Kauder. Am Tag zuvor hatte sie bereits in den Parteigremien für Unterstützung geworben. Nun sieht Merkel offenbar die Zeit für eine Versöhnung mit der Unionsbasis und den Wählern gekommen, an deren Widerwillen gegen den Irakkrieg sich nichts geändert hat.

Zudem gilt es für die Egotaktikerin, ein Risiko zu begrenzen. Ihr Pro-Bush-Kurs setzte darauf, dass die Wähler den Krieg bis zur Bundestagswahl vergeben und vergessen haben. Je blutiger der Kampf um Bagdad wird, desto unrealistischer ist die Hoffnung.