„Das war schon geil!“

Die revolutionäre Zeit als Geschichte: Im Heimatmuseum Kreuzberg erzählten die ersten Hausbesetzer von den wilden 70ern in der Oranienstraße und drumherum. Viel Mythos, bekannte Gesichter waren dabei und am Ende fast eine Schlägerei

von STEFAN WELLGRAFF

Draußen an den verregneten Häuserwänden rund um das Kottbusser Tor, hängen große Peace-Plakate gegen den Irakkrieg. Drinnen, in den Räumen des Heimatmuseums Kreuzberg, trifft man sich am Mittwochabend zu einer Veranstaltung mit dem Titel „Der Beginn der Protestbewegung in Kreuzberg“. Mit dabei sind unter anderem Jakob Lenz, der Gründer der Theatergruppe „Rote Steine“, der Ton-Steine-Scherben-Schlagzeuger Wolfgang Seidel sowie Gerd Möbius, ein Bruder von Rio Reiser. Die ebenfalls eingeladene Grünen-Vorsitzende Claudia Roth hat kurzfristig abgesagt.

An den Museumswänden sieht man die alten Fotos von Ton Steine Scherben, von kiffenden Jugendlichen, von wilden Konzerten und Demonstrationen. Irgendwie sehen die Leute auf den Fotos mit ihren wilden Haaren und Bärten ein bisschen versifft aus, aber trotzdem auch aufregend. Wie sie wohl gewesen sind, die Rebellen der 60er- und 70er-Jahre?

Im Publikum warten etwa 200 Gäste aller Altersgruppen, vom Alt-68er bis zum 14-jährigen Jung-Punk. Vorn auf dem Podium sitzen die alten Helden, frisch rasiert und mittlerweile mit kurzen Haaren, und beginnen zu erzählen. „Ja, wir haben schon ziemlich viel rumgepoppt. Damals wurde mit den Mädels nicht so viel diskutiert. Das war schon geil“, protzt Jakob Lenz los.

Lenz war Ende der 60er und Anfang der 70er mit seiner Lehrlings-Theatergruppe „Rote Steine“ durch das Land gezogen. „In der Drecksstadt Basel hat man unsere Gruppe auch rausgeschmissen. Vorher haben wir uns aber noch ordentlich mit der Polizei geprügelt“, berichtet er stolz. Lenz und seine Freunde waren im Sommer 1971 auch bei der ersten Hausbesetzung in Berlin dabei gewesen. Nach einem Konzert von Ton Steine Scherben in der TU-Mensa war man zusammen nach Kreuzberg gezogen. Die Hausbesetzung endete mit der Festnahme von 90 Jugendlichen. Berliner Lokalpolitiker hatten den Jugendlichen bereits vorher andere leerstehende Häuser in Kreuzberg angeboten, „aber wir wollten keine Häuser zugewiesen bekommen, wir wollten sie selbst erobern“.

In den besetzten Kreuzberger Häusern rund um die Oranienstraße sammelten sich damals neben Musikern und Studenten bald auch Fixer und Strichjungen. „Arbeiten wollten wir ja alle nicht, so blieb das Geschirr stehen, bis es schimmelte“, berichtet Lenz. Und weiter: „Bei unseren Sitzungen ging es wüst zu, den Scheißstudenten haben wir öfter mal eine geklatscht.“

So geht es weiter, mit Bier in der Hand und Kaugummi im Mund werden die alten Zeiten beschworen. In prollig-geselliger Stimmung streitet man sich noch, wer welche Heldentat begangen hat und wer am meisten Drogen konsumiert hatte.

Die alten Helden sind nicht erwachsen geworden. Die Angeber von damals sind einfach nur wie sie waren alt geworden. Auf den Fotos sehen sie interessanter aus. Manche von ihnen haben später Karriere gemacht, einer hat ein Hotel gekauft, ein anderer ging nach Nicaragua. Manche starben an Drogen. Heute gehen einige von ihnen mit ihren Kindern zu Friedensdemonstrationen oder schreiben Erinnerungsbücher.

Am Ende kommt es dann noch zu einem kleinen Eklat. Einer aus dem Publikum beschimpft die Diskutanten. Diese sind etwas hilflos. Eine schmächtige Frau steht schließlich auf und versucht den Querulanten eigenhändig wegzuzerren. Vergeblich. Nach kollektiver Publikumsabstimmung wird er schließlich rausgeschmissen. „So was hätten wir früher nach fünf Minuten verkloppt, aber wir sind ja auch älter geworden“, entschuldigen sich die hilflosen Helden. Eigentlich will danach ihre Geschichten keiner mehr hören.