Haitanische Rebellen erobern Hafenstadt

Demokratische Opposition distanziert sich von der Rebellengruppe, die sich einst „die Kannibalen“ nannte

BERLIN taz ■ Gonaïves hat einen neuen Bürgermeister. Über den Rundfunksender „Radio Metropole“ erklärte sich Winter Entienne am Wochenende zum Oberhaupt der haitanischen Hafenstadt. Entienne ist Sprecher der „Widerstandsfront Anti-Aristide,“ die früher einmal Kannibalenarmee hieß.

Im Handstreich haben die Rebellen die viertgrößte Stadt des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Nach Angaben des Roten Kreuzes kamen bei den Gefechten mindestens 12 Menschen ums Leben, die Rebellen sprechen von 14 getöteten Polizisten.

Die Polizeistation ist nur noch eine rußgeschwärzte Ruine. Auch das Gefängnis ist niedergebrannt. Die rund einhundert Gefangenen haben sich dem Rebellenheer angeschlossen. Der bisherige Bürgermeister, die Polizeibeamten und ein Großteil der Stadtbediensteten sind geflohen. Ihre Häuser wurden in Brand gesteckt. Auf dem Hauptplatz, auf dem noch vor knapp sechs Wochen Präsident Aristide mit ausländischen Gästen die zweihundertjährige Unabhängigkeit des Landes feierte, patrouillieren Schwerbewaffnete. Im Rundfunk berichtete der Generalsekretär der Haitianischen Journalistenvereinigung, dem es gelungen war, in die 200.000 Einwohner zählende Stadt zu gelangen: „Die Leute haben schwere Waffen, über die noch nicht einmal die Polizei verfügt.“

Der Versuch von Spezialeinheiten der haitianischen Polizei, die Rebellenhochburg zurückzuerobern, sei zurückgeschlagen worden, behauptete der neue Bürgermeister Entienne am Samstagabend in „Radio Metropole“.

Faktisch beherrscht die Rebellenarmee bereits seit Monaten die Regionalhauptstadt. Seit im September ihr Anführer Amoit Métayer erschossen aufgefunden wurde, haben sich die „Kannibalen“ gegen Staatschef Aristide gestellt und sich durch die Namensänderung einen etwas „zivilisierter wirkenden Anstrich“ gegeben. Métayers Bruder Butteur beschuldigte Aristide, den Mord an seinem Bruder angeordnet zu haben.

Einst gehörten Amoit Métayer und seine „Kannibalen“ zu den Fanmi Lavalas, wie die Regierungspartei genannt wird. Sie sorgten damals in Gonaïves nicht nur für Massenmobilisationen, sondern auch dafür, dass Kritiker die Stadt verließen. Für die US-Drogenbehörde war Ex-Trotzkist Métayer ein Drogenhändler, Menschenrechtsorganisationen hatten schon längst seine Verhaftung gefordert.

Sprecher des Oppositionsbündnisses „Convergence Démocratique“ („Demokratische Übereinkunft“), dem Unternehmerverbände, die „Gruppe der 184“ ebenso angehören wie Feministinnen, haben sich am Wochenende von dem bewaffneten Aufstand in Gonaïves distanziert. „Mit der Front haben wir nichts zu tun. Wir lehnen Gewalt ab“, sagte Gerard Pierre Charles, einer der Sprecher der Convergence. Der ehemalige Weggefährte des einstigen Priesters Aristide rief dagegen zum gewaltlosen Widerstand gegen den Staatschef auf. Die demokratische Opposition werde so lange täglich demonstrieren, bis Jean-Bertrand Aristide endlich zurücktrete, sagt Pierre Charles. Unterdessen demonstrierten in der Hauptstadt Port-au Prince tausende von Anhängern für Aristide. Der beschuldigte die internationale Gemeinschaft, mit der Blockade von Hilfsgeldern die Konflikte zu schüren.

HANS-ULRICH DILLMANN