Rien ne va plus im Untergrund

In Frankreich legen Streiks von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes den Verkehr lahm. Die Betroffenen protestieren gegen eine längere Lebensarbeitszeit und eine Kürzung der Renten. Doch die Regierung ist entschlossen, ihr Projekt durchzuziehen

aus Paris DOROTHEA HAHN

Im Pariser Untergrund funktionierte gestern nur eine einzige Linie hundertprozentig: die führerlose 14 zwischen der großen Bibliothek im Osten und der Madeleine im Westen. Alle anderen Métros und Busse in der Hauptstadt und in anderen französischen Städten sowie die Eisenbahn, die Luftfahrt, die Gas- und Elektrizitätswerke und die staatlichen Schulen waren bestreikt.

Der zweite Aktionstag binnen weniger Wochen richtete sich erneut gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und die Beschneidung der Renten im öffentlichen Dienst sowie gegen die Privatisierung der verbleibenden staatlichen Betriebe.

Wie oft war es auch gestern ein Stellvertreterstreik. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes legten die Arbeit nieder und verzichteten damit auf ihren Lohn in einem Land ohne „Streikkassen“. Und die große Mehrheit der Beschäftigten nahm die Staus mehr oder weniger genervt in Kauf. Laut Umfragen ist die große Mehrheit der Franzosen – 71 Prozent – für den Streik.

Ähnlich war es Ende 1995, als zuletzt eine rechte Regierung in Paris versuchte, die Renten im öffentlichen Dienst anzutasten. Jenes Vorhaben von Premier Juppé scheiterte an den Protesten. Nachfolger Jean-Pierre Raffarin strebt dasselbe Ziel an. Er will die Lebensarbeitszeit im öffentlichen Dienst von 37,5 auf vorerst 40 Jahre – und ab 2008 auf 42 Jahre – verlängern, die Beitragszahlungen der Beschäftigten erhöhen und die Rentenhöhe vom Lohnniveau abkoppeln. Letzteres bedeutet Rentensenkung.

Bloß Raffarins Methoden sind neu. Er versucht es mit republikanischer Rethorik. Er begründet die Verlängerung der Arbeitszeit mit der „Egalité“ zwischen öffentlichem Dienst und privater Wirtschaft, wo die Beschäftigten 40 Jahre arbeiten müssen, um ihre vollen Bezüge zu bekommen. Auch wird er offensiv von dem Unternehmerverband „Medef“ und der privaten Versicherungsbranche unterstützt. Die wittert ein Milliardengeschäft.

Im Schatten des Kriegsgetümmels hat Raffarin sein Rentenprojekt weit vorangetrieben. Spätestens im Hochsommer – wenn viele Betriebe geschlossen sind und nirgends Streik droht – will er es im Parlament durchsetzen. Die nötige Mehrheit hat er.

Die Gewerkschaftsfront ist wieder gespalten. Während die große CGT, die FO, die FSU und die Unsa gestern streikten und „37,5 Jahre für alle“ sowie „Egalité für Beschäftigte der privaten und öffentlichen Wirtschaft“ verlangten, blieb die CFDT wieder einmal zu Hause.