Bundestag am Kinotag unvereint

Abgeordnete machten sich im Ostberliner Kino „International“ ein Bild von der DDR und guckten in einer Exklusiv-Vorführung „Good Bye, Lenin!“. Doch die erhoffte deutsch-deutsche Annäherung blieb aus: Westler waren begeistert, Ostler meckerten

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Am Mittwochabend war das Ostberliner Kino „International“ in der Karl-Marx-Allee für normale Kinobesucher geschlossen. Ein roter Teppich am Eingang, eine Polizeiwanne auf dem Mittelstreifen der einstigen Stalin-Allee und Heerscharen von Kamerateams kündeten von einem wichtigen Hauptstadtereignis. Statt des in den Kinoprogrammen angekündigten Films „The Hours“ lief der Kassenschlager „Good Bye, Lenin!“. Auf einem Schild an der Kasse hieß es schlicht: „Am Mittwoch ist das Kino leider geschlossen.“

Leider? Dort, wo früher das „Festival des sowjetischen Films“ stattfand, wo alljährlich am 7. Oktober zum Tag der Republik sowjetische Panzer zur Militärparade vorbeirollten, gab es eine „exklusive Galavorführung“. Nachdem über vier Millionen Zuschauer den verspäteten Siegeszug der DDR gesehen haben, waren nun die eingeladen, die die deutsch-deutschen Interessen vertreten sollen: die 598 Abgeordneten des Bundestages. Die Idee dazu hatten die parteilose Kulturstaatsministerin Christina Weiss und die Filmfirma X-Verleih, die den Streifen verleiht und den DDR-Anschauungsunterricht für die Politiker sicher aus der Portokasse zahlen kann.

Doch der Einladung folgte nur etwa ein Drittel der Parlamentarier. Einer der ersten bekannten Abgeordneten, die den roten Teppich betraten, war ausgerechnet Peter Gauweiler von der CSU, der damals liebend gern die DDR mit seiner Bayernpartei beglückt hätte. Im knielangen grünen Lodenmantel und mit süffisantem Ton sagte er: „Ich finde die Idee schon stark, DDR-Nostalgie zu betreiben.“ Dann stürzten sich die Journalisten auf Werner Schulz, den wirtschaftspolitischen Sprecher der Grünen, und nötigten auch den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler zu einem Statement vor Filmbeginn. Schulz gab sich erwartungsgemäß als Mahner: „Die Deutungsmuster für die DDR-Vergangenheit sind noch nicht klar.“ Familienministerin Renate Schmidt (SPD) warnte ebenfalls, jedoch in andere Richtung: „Als Wessi sollte man sich hüten, alles aus der DDR für schlecht zu erklären – ohne zu verklären.“

Bis sich der Vorhang öffnete, war nur das Knistern der Papiertüten zu hören, die für die Abgeordneten auf den Sitzen standen. Freudig zogen sie Filmdevotionalien hervor: eine Spreewälder Gurke in der Büchse mit dem gar westlich klingenden Aufdruck „Get one“, Rotkäppchensekt trocken, eine „Good Bye, Lenin!“-Tasse und ein Fähnchen „Die DDR lebt weiter“. Wolfgang Schäuble, der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU, bewies Geschichtskenntnis und witzelte über „das Winkelement“.

Im Vergleich zu dem Publikum, das sich in den vergangenen Wochen im „International“ pausenlos auf die Schenkel geklopft hatte, wenn ein DDR-Produkt auftauchte oder Pittiplatsch mit dem Kopf wackelte, hielten sich die Lacher der Politiker und der Applaus in Grenzen. Ein Einziger ließ sich zu einem Bravo-Ruf hinreißen. Der Applaus wurde größer, als Produzent, Regisseur und einige Hauptdarsteller die Bühne betraten. Während die Parlamentarier zur Bar strömten, küsste der Produzent der Kulturstaatsministerin mehrmals hingebungsvoll die Hand. Wenige Stunden zuvor hatte sie einen „Durchbruch“ in der Filmförderung verkündet, von der auch „Good Bye, Lenin!“ profitierte.

Brachte der Film Ost- und West-Parlamentarier nun näher? Wohl kaum. Die Bayerin Renate Schmidt schwärmte von einem „sauguten“ Film, ihr Landsmann Peter Gauweiler erklärte, dass er „ganz gewaltig“ bei der Annäherung helfe und dass Spreewälder Gurken „wohl gut sein müssen“. Wolfgang Schäuble lobte die „gute Idee“, den Bundestag einzuladen.

Ost-Abgeordnete hingegen, für die Pionierliedchen oder „Mocca Fix Gold“ logischerweise keinen großen Erkenntnisgewinn bringen, waren enttäuscht. Westler würden sagen: sie meckerten. Der SPD-Abgeordnete Karsten Schneider aus Thüringen meinte, trotz einiger „humorvoller Ostsequenzen“ zeichne der Film „kein wirkliches Bild der DDR“. Er sei schlicht gut promoted. Und der ehemalige Bürgerrechtler Schulz stieß mit seiner Kritik, dass die DDR „relativ harmlos“ daherkomme, beim Regisseur Wolfgang Becker, einem gebürtigen Sauerländer, auf taube Ohren. Der schüttelte nach dem Gespräch mit Schulz noch lange verständnislos den Kopf.