Verdrängung als Prinzip

Die Differenzen zwischen Opposition und Regierung in der Außenpolitik waren gestern im Bundestag mehr zu erahnen als deutlich zu hören

Angela Merkel will dem Irak seine Bodenschätze „zur Verfügung stellen“

aus Berlin BETTINA GAUS

Bundestagsdebatten sind immer mal wieder für Überraschungen gut. Die von gestern trägt einen Namen: Krista Sager. Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen gilt gemeinhin als spröde. Dennoch hielt sie in der Aussprache über die Regierungserklärung zur internationalen Lage die einzige Rede, in der etwas davon zu spüren war, dass ein Krieg mehr bedeutet als strategische Pläne auf dem Reißbrett und Streit in internationalen Gremien: Er hat auch etwas mit Verzweiflung und Angst zu tun. Selbst dann, wenn man nicht zu den unmittelbaren Opfern gehört.

Leidenschaftlich drängend entwarf Krista Sager ein Gesamtbild der dramatischen Folgen des Krieges: „Was uns jetzt doch wirklich droht, ist eine panarabische, islamistische Bewegung, die die Region immer weiter destabilisiert.“ Der Krieg habe eine „Union“ zwischen Islamisten und Schurkenstaaten geschaffen, selbst aus Tschetschenien und Afghanistan reisten nun Kämpfer in den Irak: „Das ist doch wirklich das Drama, vor dem wir jetzt stehen.“

Der Alleingang der USA sei deshalb schon heute als „Desaster anzusehen“. Aber genau darin liege auch ein Funken Hoffnung: Gerade vor dem Hintergrund des Irakkrieges wünschten sich die Menschen ein starkes Europa, „und das ist eine Riesenchance, dass die Menschen Europa endlich als ihr Europa begreifen“. Krista Sager hat damit ein zentrales Element in die Debatte eingeführt: das der politischen Psychologie.

Und sonst? Im Westen nichts Neues. Der Bundeskanzler teilte mit, was alle längst wissen: Deutschland werde sich an diesem Krieg nicht beteiligen, stehe aber dennoch zu seinen „Bündnisverpflichtungen“. Die nach Ansicht von Gerhard Schröder unter anderem die Genehmigung von Überflugrechten für die USA und den Schutz türkischen Territoriums mit deutschen Awacs-Flugzeugen einschließen. Außerdem erklärte der Kanzler die deutsche Bereitschaft, „sich unter dem Mantel der Vereinten Nationen mit zusätzlichen Mitteln an humanitärer Hilfe im Irak zu beteiligen“.

Über weite Strecken seiner Rede huldigte Gerhard Schröder dem Prinzip Hoffnung: „Der Multilateralismus ist eben nicht am Ende, im Gegenteil.“ – „Die Vereinten Nationen sind nicht irrelevant geworden, im Gegenteil.“ Die Nato habe „eben nicht ausgedient“.

Um die notwendige Stärkung Europas zu erreichen, solle Schröder zufolge der Weg hinführen zu einer „europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion“, in der sich beispielsweise nicht mehr nationale, sondern „europäidche“ Truppen an Blauhelmeinsätzen beteiligten. Das klingt gut. Ebenso gut wie die Zusicherung des Bundeskanzlers, die Koalition beabsichtige nicht, aus dem Parlamentsheer eine Regierungsarmee zu machen. Wie sich allerdings beides miteinander in Einklang bringen lässt, das blieb offen.

Sorgfältig umging der Kanzler auch mögliche Probleme der belgischen Einladung zu einem sicherheispolitischen Gipfel, an dem sich zunächst nur Deutschland, Frankreich und Luxemburg beteiligen wollen. Schröder befand knapp: „Bei dieser Initiative des belgischen Ministerpräsidenten kann und darf niemand ausgeschlossen werden.“ Was das konkret bedeutet, sagte er nicht – und kritische Fragen der Opposition brauchte er in diesem Zusammenhang auch nicht zu fürchten.

Christa Sager: Die Destabilisierung des Mittleren Ostens ist das wirkliche Drama

Schließlich hatte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel genug damit zu sein, beim Balanceakt zwischen unverbrüchlicher Bündnistreue und grundsätzlicher Gegnerschaft zum Krieg nicht vom Hochseil zu fallen. Das hörte sich dann so an: Krieg sei „eine Niederlage für Politik und Diplomatie“, weil Krieg „den Tod von Menschen bedeute“. Aber: „Wir alle stehen an der Seite derer, die für die Demokratie kämpfen.“ Wer will da schon nach den Mitteln fragen?

Erneut warf Angela Merkel der Bundesregierung vor, „den Krieg nicht unwahrscheinlicher, sondern wahrscheinlicher“ gemacht zu haben. Deutschland habe in besonderem Maße die Aufgabe, in Europa „integrative Kraft“ zu sein: „Deshalb darf Deutschland keine Randposition, keine Maximalposition, keine Sonderwege vertreten.“ Ob sie eine ablehnende Haltung zum Irakkrieg für eine solche „Randposition“ hält, ließ die CDU-Vorsitzende offen. Während der Rede von Guido Westerwelle drohte die Debatte ganz kurz spannend zu werden. Er forderte einen Sitz im Weltsicherheitsrat für die Europäische Union – also mal eben eine Reform der Vereinten Nationen von Grund auf. Aber gleich danach fühlte man sich an den alten Witz vom Prüfling erinnert, der nur auf den Wurm vorbereitet war, aber vom Biologielehrer nach dem Elefanten gefragt wird. Und antwortet: „Der Elefant hat einen wurmartigen Rüssel.“ Der Wurm von Westerwelle heißt Wirtschaft. Die wirtschaftliche Kraft Europas sei von der Außenpolitik nicht zu trennen. Das mag so sein. Und was heißt das?

Um Unterschiede zwischen Regierung und Opposition herauszufinden, war es gestern bisweilen aufschlussreich, allein auf den Wortlaut des Gesagten zu achten. Ein Beispiel: Gerhard Schröder fordert, dass die irakischen Rohstoffe „im Besitz und unter der Kontrolle des irakischen Volkes“ bleiben müssten. Auch Angela Merkel findet es „selbstverständlich“, dass dem Irak die Bodenschätze des Landes „zur Verfügung gestellt werden müssen“. Zur Verfügung gestellt? Von wem?