90 Pazifisten zeigen Aznar an

Dem spanischen Premierminister wird wegen Kriegsbeteiligung Verfassungsbruch vorgeworfen

MADRID taz ■ Spaniens Regierungspräsident José María Aznar schlägt wild um sich. Die Demonstranten, die vor der Wahlkampfveranstaltung seiner Volkspartei (PP) gegen den Krieg demonstrieren, vergleicht er mit den Nazis. Die Forderung der Opposition, er möge seine Unterstützung für Bush und Blairs Irakkrieg aufkündigen, nennt er „Radikalismus“. Und wenn ihm in Interviews vorgehalten wird, dass 92 Prozent der Spanier gegen den Krieg sind, meint er zynisch: „Ich hätte auch so geantwortet.“

Um die These vom Radikalismus der Opposition gegen den Krieg zu unterstreichen, setzt die Regierung Aznar auf die Kriminalisierung der Friedensbewegung. Seit Kriegsbeginn kommt es vor allem in Barcelona und Madrid immer wieder zu Auseinadersetzungen mit der Polizei. Ein Video, das die sozialistische PSOE dem Innenausschuss des Parlaments vorlegte, zeigt, dass die Sondereinsatzkommandos die Gewalt gezielt provozierten. Sie schlugen ohne Grund auf friedlich herumstehende, jugendliche Demonstranten ein. Die PP-Mehrheit im Innenausschuss stimmte gegen eine Vorführung der Aufnahmen im Parlament. Am Abend darauf wurden sie dann in den meisten Nachrichtensendungen ausgestrahlt.

Die spanische Regierung schickte 900 Soldaten und vier Kriegsschiffe ohne Parlamentsabstimmung an den Golf. Humanitäre Hilfe sollen sie dort leisten, so Aznar. Warum sie dann dem US-Kommando unterstellt werden, will die Opposition wissen und redet von einem nicht genehmigten Kriegseinsatz. Dies sei ein klarer Verfassungsbruch. 90 Pazifisten zeigten Aznar deshalb vor dem Obersten Gerichtshof Spaniens an.

„Wenn sie heute gegen unseren Antrag für ein Ende des Krieges stimmen, dann stimmen sie für all das, was wir im Fernsehen sehen, für das, was dem kleinen Ali geschehen ist, der Arme und Beine verloren hat“, warf ein Oppositionspolitiker den Konservativen bei der Parlamentsdebatte zu Wochenbeginn vor. Doch auch bei dieser Abstimmung stimmte Aznars Fraktion, die die absolute Mehrheit hält, geschlossen.

Dabei gärt es in der PP. 71 Prozent der konservativen Wähler sind gegen den Krieg. „Die Idee einer moderaten, humanitären, christlichen Volkspartei liegt in Scherben“, erklärt Felix Pastor Ridruejo. Der 72-jährige Politiker gehört seit vielen Jahren dem Parteivorstand an und war einst unter denen, die den jungen José María Aznar ins Amt des Parteivorsitzenden hoben. „Das spanische Volk hat ein Recht darauf, dass die Regierung jedweden Krieg fern hält“, sagt Ridruejo, der angibt, dass im Parteivorstand viele so denken wie er. Selbst Minister sollen unter den Gegnern des Kriegskurses sein.

Angesichts der Meinungsumfragen verwundert das nicht: Aznars Politik treibt die Konservativen immer mehr in die Enge. Wären am kommenden Sonntag Wahlen, bekäme die PP nur noch 36 Prozent. Ein Ergebnis, das so manchem Sorgen bereitet. Schließlich sind in nur sieben Wochen Kommunal- und Regionalwahlen und in knapp einem Jahr Parlamentswahlen. Dennoch ist Ridruejo der Einzige, der bisher seine Kritik an Aznar offen ausspricht. Denn die PP steht vor dem großen Stühlerücken. Wer Nachfolger Aznars wird, soll im Frühsommer geklärt werden. Wer jetzt auffällt, läuft Gefahr, im neuen Team nicht dabei zu sein. REINER WANDLER