Alte Kumpane vergessen nicht

Nachhilfe für Lothar Ruschmeiers Gedächtnis: Im Prozess um den Müllskandal hatte Kölns ehemaliger Stadtdirektor gesagt, er habe den SPD-Strippenzieher Karl Wienand nur beiläufig gekannt. Doch die beiden machten im Rhein-Sieg-Kreis Müllpolitik

VON WERNER RÜGEMER

Während seiner Vernehmung im Kölner Müllprozess am 15. Januar hatte der Zeuge Lothar Ruschmeier (58) in seinen weitgehenden Gedächtnisschwund auch Karl Wienand eingeschlossen. Auf die Frage, ob er den früheren SPD-Spitzenpolitiker persönlich kenne, hatte der ehemalige Kölner Oberstadtdirektor geantwortet, dass er Wienand beiläufig wohl kenne, aber nicht weiter von ihm beeinflusst worden sei.

Seit Bekanntwerden des Korruptionssumpfs beim Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage (MVA) hält Ruschmeier diese Legende von der Distanz zu Karl Wienand (76), der als Strippenzieher bei diesem Schmiergelddeal gilt, aufrecht. Er habe „zu keiner Zeit zu einer Gruppe um Karl Wienand gehört, auch zu keiner Gruppe, die als Troisdorfer Mafia bezeichnet wurde“, zitierte der Kölner Stadt-Anzeiger am 20.6.2002 unkommentiert aus einer Presseerklärung Ruschmeiers.

Ausflug zu Steinmüller

In Troisdorf, Windeck, Bornheim und St. Augustin pfeifen es die Spatzen noch heute von den Dächern, dass Ruschmeier und Wienand von Mitte der 80er Jahre bis 1990 gemeinsam im Unterbezirksvorstand der SPD Rhein-Sieg agierten: Ruschmeier als Vorsitzender und zugleich als SPD-Fraktionschef in Troisdorf. Der Einsatz für Müllverbrennung gegen starken innerparteilichen Widerstand einte das Duo, dazu brauchte Ruschmeier nicht erst „beeinflusst“ zu werden. Karl Wienand hatte damals schon seine Beraterverträge mit dem Entsorgungsunternehmen Trienekens und dem Anlagebauer Steinmüller. 1988 vermittelte er den Genossen einen Betriebsausflug zu Steinmüller.

Ruschmeier setzte sich für eine eigene MVA des Rhein-Sieg-Kreises ein, obwohl die MVA im nahen Bonn schon gebaut war. „Wienand und Ruschmeier bildeten mit dem damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden im Kreistag Rhein-Sieg und Landtagsabgeordneten Stefan Frechen eine spezielle Gruppe, die den Listenvorschlag für die Kreistagswahl 1989 erarbeitete. Da wurden die Gegner der Müllverbrennung weit nach hinten geschoben oder rausgedrängt“, erinnert sich Paul Kröfges, von 1979 bis 1989 SPD-Kreistagsabgeordneter, heute Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) im Rhein-Sieg-Kreis. Kröfges selbst schied mit Hinweis auf die unsauberen Geschäfte der führenden Genossen aus der Kreistagsarbeit aus.

Alte Vertraute

Wienand, der als Vertrauter Herbert Wehners und als parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion lange zu den Mächtigen der Republik gehörte, musste 1974 von seinen Funktionen zurücktreten. Er war wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden, er hatte dem Finanzamt gegenüber die Honorare aus geheimen Beraterverträgen verheimlicht.

Von da an machte sich Wienand in seinem Wohnort Windeck im Rhein-Sieg-Kreis als Unternehmensberater selbständig. Er wurde unter anderem Geschäftsführer der Bonner Quarzwerke. Deren nicht ausgelastete Quarzgrube im benachbarten Bornheim wollte Wienand zur Goldgrube machen. Sie sollte als Deponie für die Aschen und Schlacken der MVA des Rhein-Sieg-Kreises dienen.

Vor der Kreistagswahl 1989 fanden im Oktober und November 1988 zwei Fraktionssitzungen der SPD-Kreistagsfraktion statt. Das Duo Ruschmeier-Wienand wurde als Schützenhilfe gegen MVA-Kritiker wie Kröfges hinzugeladen. Ruschmeier und Wienand brachten noch Vertreter der Firmen Trienekens und Quarzwerke Bonn mit. Die erklärten die unbedingten Notwendigkeit der MVA in Verbindung mit der Deponie. Die Fraktion stimmte nach harten Auseinandersetzungen mehrheitlich für MVA und Deponie.

Trotz der Protektion durch Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes und die NRW-Landesregierung kam eine MVA des Rhein-Sieg-Kreises nicht zustande. Der Bedarf konnte auch nicht durch Antwerpes herbeigezaubert werden, der auch hier mit „Ersatzvornahme“ drohte.

Lothar Ruschmeier wurde 1990 Oberstadtdirektor in Köln. Karl Wienand, der die Beraterverträge mit Trienekens und Steinmüller geschäftstüchtig mit seinen Funktionen im SPD-Unterbezirksvorstand Rhein-Sieg und SPD-Bezirksvorstand Mittelrhein verband, verlagerte seinen Schwerpunkt ebenfalls nach Köln und fädelte ab 1992 das korruptive Geflecht um die Kölner MVA ein.

„Ich selbst und viele Genossen, aber auch Mitglieder anderer Parteien im Rhein-Sieg-Kreis haben noch gut im Ohr, wie sich Wienand seiner guten Beziehungen zu Lothar, Franz-Josef, Klaus und später auch Wolfgang rühmte, wenn es um die Durchsetzung seiner Interessen ging“, so Paul Kröfges. Lothar, das ist Ruschmeier; Franz-Josef, das ist Antwerpes; Klaus, das ist der damalige Landesumweltminister Mathiessen („Verbrennungsminister“); Wolfgang, das ist Clement.

Mitleidsvolle Rührstory

Paul Kröfges hatte sich nach der Distanz-Erklärung Lothar Ruschmeiers im Kölner Stadt-Anzeiger vom 20.6.2002 an Kölns größte Tageszeitung gewandt. Er traf sich mit einem der Redakteure und überreichte ihm die Protokolle der SPD-Kreistagsfraktion und andere Unterlagen. Doch das DuMont-Blatt, das damals täglich über den Müllskandal berichtete, mochte die Ruschmeier-Legende nicht korrigieren. Dagegen rührte es mitleidsvoll in der Rührstory, der ehemalige Oberstadtdirektor werde im Zusammenhang der Schmiergeldaffäre „von Trittbrettfahrern erpresst“. Die Redaktion arbeitete sich so dem „Wächter-Preis der Tagespresse“ entgegen, der den gefürchteten Schnellaufklärern ein Jahr später für ihre „engagierten Berichte über den Kölner Müllskandal“ verliehen wurde. Kröfges hat die Unterlagen nun der Staatsanwaltschaft übermittelt.