„Hier hat jeder Opium im Haus“

In der afghanischen Provinz Badakhschan liegen die größten Anbaugebiete des Landes für Schlafmohn. Angesichts des weit verbeiteten Drogenkonsums nehmen jetzt die Geistlichen dagegen Stellung. Doch die Sucht hat eine lange Tradition

AUS FEIZABAD PETER BÖHM

Alles macht Ali Sobir* Kopfschmerzen. Am Morgen kann der 20-Jährige keinen Tee trinken, weil der, wie er mit schläfriger Stimme erzählt, zu „schlimmem Druck im Kopf“ führt. Aus dem gleichen Grund kann er von dem Frühstück nichts essen, das vor ihm steht. Auch die Schule hat er deshalb aufgegeben, und mit dem Sonnenlicht ist es dasselbe. Wenn er aus dem Haus geht, trägt er eine dunkle Brille.

Der junge Mann ist einer von 30.000 Opiumabhängigen in der afghanischen Badakhschan-Provinz. Diese schwer zugängliche Region im Nordosten des Landes lebt fast nur vom Opium. Gelegen im Pamir-Gebirge mit Gipfeln, die über 7.000 Meter hoch sind, wächst hier kaum etwas anderes. Viele Täler sind zehn Monate im Jahr von der Außenwelt abgeschnitten. Zwei Bezirke um die Hauptstadt Feizabad sind in ganz Afghanistan führend, was die Anbaufläche für Schlafmohn anbelangt. Wegen seiner Abgeschlossenheit war Badakhschan die einzige afghanische Provinz, die die Taliban nie einnehmen konnten. Nun ist sie eine von vier Provinzen, für die das regionale Wiederaufbauteam der Bundeswehr in Kundus zuständig ist.

Ali Sobir isst zu wenig und sieht deshalb schmächtig aus, mit seinen fettigen Haaren und der dünnen, schmutzigen Leinenhose auch etwas ungepflegt. Seine Sucht finanziert sein Onkel, der ihm alle zwei, drei Tage ein bisschen Geld zusteckt. Eine Pfeifenfüllung kostet in Feizabad 50 Afghani, rund 80 Cent, und so kommt Ali Sobir über die Runden. Der Onkel darf jedoch nichts davon erfahren, dass der Neffe Opium raucht.

Wie bei den Ismailiten üblich, hat Ali mit 13 Jahren geheiratet. Die Ismailiten sind eine schiitische Minderheitenströmung, deren Anhänger unter anderem in den Grenzregionen von Afghanistan, Pakistan und China leben. Mit 15, als Ali schon zwei Kinder hat, schickten ihn seine Eltern nach Feizabad. Dort sollte er auf die höhere Schule gehen, doch er ging nicht mehr zum Unterricht, nachdem er anfing, Opium zu rauchen.

Der Politologe Adam Pain hat gerade eine Untersuchung über Badakhschans Wirtschaft für die Agha-Khan-Stiftung abgeschlossen. „Ich weiß von einigen Dörfern, in denen 90 Prozent der Bewohner opiumsüchtig sind“, sagt er. Da die meisten Süchtigen in Badakhschan Ismailiten sind, erklärt Pain, haben die Geistlichen begonnen, sich gegen die Droge auszusprechen. Deshalb sei ihr Konsum in jüngster Zeit zurückgegangen.

Sebghatulla Khaksary, Chef des lokalen Drogenbekämpfungsprogramms der afghanischen Regierung in Feizabad, bestätigt die Ergebnisse von Pains Untersuchung, warnt jedoch davor, den Einfluss der Geistlichen zu überschätzen. „Der Konsum von Opium hat eine lange Tradition in Badakhschan“, erklärt er, „deshalb ist er nur schwer zu bekämpfen.“ Opium sei vor rund 100 Jahren aus China importiert worden und wird seitdem als Schmerzmittel angewandt oder gegen den Hunger gegessen. „In Badakhschan rauchen oder essen Lehrer, Ärzte und Großmütter Opium, und sogar Säuglinge sind manchmal schon abhängig, weil ihre Mütter ihnen die Droge verabreicht haben, damit sie nicht schreien.“ Dennoch unterliege der Konsum von Opium einem großen Stigma in der Gesellschaft, sagt Khaksary, weil Drogen nach dem Islam verboten seien: „Deshalb wird niemand öffentlich zugeben, dass er abhängig ist, und deshalb ist das Problem natürlich auch nur schwer in den Griff zu kriegen.“

Ali Sobir sagt, er sei entschlossen, vom Opium loszukommen. Einer seiner Freunde ist vor zwei Wochen zu einer kostenlosen Entziehungskur in eine Klinik nach Kabul gefahren. Dort will er nun auch hin. Dann guckt er traurig und fragt: „Kann ich nicht etwas Geld für die Fahrt nach Kabul haben? Ich muss hier weg. In Feizabad kann ich nie aufhören. Hier hat jeder Opium im Haus.“

* Name geändert