Tödliche Zukunft

Kriegskoalition setzt umstrittene Cluster-Bomben ein. Bagdad von US-Streitkräften umschlossen und vor Belagerung

Das Abschneiden der Kommunikation in Bagdad ist wichtig

von BERND PICKERT

Nach 16 Tagen Krieg scheint der Moment erreicht, in dem die US-geführten Truppen ihre offensiv zur Schau getragene Zurückhaltung aufgeben. Im Kampf gegen die Divisionen der Republikanischen Garden im Süden Bagdads, aber auch in einigen Stadtvierteln der irakischen Hauptstadt selbst haben die USA und Großbritannien mehrfach Streubomben eingesetzt.

Diese „Cluster Bombs“ verfügen über Sprengköpfe, die eine Vielzahl kleinerer Sprengsätze freigeben, die sich in einem weiten Umkreis verstreuen. Bei der Explosion schleudern sie Metallschrapnelle durch die Gegend, die Menschen töten oder schwer verletzen. Erst neuere Modelle erlauben zumindest einen leidlich präzisen Einsatz – in der Nähe von bewohntem Gebiet abgeworfen, fordern die Waffen dennoch zwangsläufig viele Todesopfer unter der Zivilbevölkerung – auch noch lange nach Kriegsende. Denn bis zu 16 Prozent der abgeworfenen Sprengsätze explodieren nicht, sondern bleiben als tödliche Gefahr liegen. Die kann auch die eigenen Soldaten treffen: In der vergangenen Woche starben zwei US-Marines, weil sie auf Sprengkörper traten, die von der eigenen Artillerie verschossen worden waren. Im Golfkrieg 1991 kamen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation so rund 80 US-Soldaten ums Leben – mehr als 4.000 irakische Zivilisten starben, die meisten davon nach Ende des Krieges.

Bei schweren Angriffen vom Montag zu Dienstag dieser Woche kam in der Gegend um die südirakische Stadt Hilla durch US-amerikanische Bombardements mindestens 61 irakische Zivilisten ums Leben, mehr als 450 wurden verletzt. Ein Sprecher des Internationalen Roten Kreuzes beschrieb die Szenerie als „Horror“ und berichtete von dutzenden zerfetzter Körper. Ein Arzt des Krankenhauses von Hilla sagte, die meisten der Toten und Verwundeten seien Opfer von Cluster-Bomben geworden.

Der Sprecher des US-Oberkommandos in Doha, Brigadegeneral Vincent Brooks, verteidigte gestern den Einsatz von Streubomben: Sie seien die geeignete Munition, um die Divisionen der Republikanischen Garden bewegungsunfähig zu machen.

Seit der Nacht zu gestern ist die irakische Hauptstadt ohne elektrischen Strom – nach Angaben des Korrespondenten des britischen Independent, Robert Fisk, aufgrund von fast gleichzeitigen Explosionen in zwei Elektrizitätswerken in Bagdad, je einem an jedem Ufer des Tigris. Brooks erklärte schlicht, die USA hätten damit nichts zu tun – was nicht sehr glaubwürdig erscheint, gab es doch sofort Berichte, dass US-Spezialeinheiten den Stromausfall ausgenutzt hätten, um heimlich in die Stadt einzudringen und mögliche Verteidigungslinien zu erkunden.

Das Dementi erinnert an die erste Kriegswoche, als US-amerikanische und britische Armeesprecher jede Verantwortung für die Bombardierung zweier Marktplätze in Bagdad zurückgewiesen und die Vermutung geäußert hatten, die irakische Armee könnte dafür selbst verantwortlich gewesen sein. Es war wiederum Robert Fisk, der anhand der Reste der eingesetzten Projektile nachweisen konnte, dass sie aus US-amerikanischer Produktion stammen.

Wegen des Strommangels ist in Teilen der Stadt auch die Wasserversorgung zusammengebrochen. Fehlendes Trinkwasser und fehlende Kühlmöglichkeiten könnten im beginnenden irakischen Sommer mit seinen hohen Temperaturen sehr schnell zu einer katastrophalen Situation führen. Zudem scheinen die US-Einheiten noch immer einen schwierigen Straßenkampf in Bagdad vermeiden zu wollen. Sie wollen zunächst nach der inzwischen bestätigten Einnahme des internationalen Flughafens den Ring um die Stadt schließen. General Richard B. Myers erklärte im Pentagon in Washington, es sei gar nicht entscheidend, die Stadt wirklich zu erobern. Wenn die Kommunikationslinien abgeschnitten und die Hauptstadt isoliert sei, dann habe auch das Regime Husseins die Kontrolle über das Land verloren. Sollten die US-Truppen diese Strategie tatsächlich umsetzen, kann sich Bagdad auf eine lange Belagerung einstellen.

Dabei weiß niemand, wie lange es Zivilisten noch möglich sein wird, die Stadt zu verlassen, oder ob Hilfe hineinkommen kann. In den letzten zwei Tagen berichteten Journalisten, die mit den US-Truppen unterwegs waren, von Flüchtlingsströmen, die den anrückenden Einheiten entgegenkämen. Die Korrespondenten in Bagdad bemerkten davon nichts.