„Eine Million Jobs könnten entstehen“

Michael Wörle engagiert sich schon länger dafür, die Selbstständigkeit im Handwerk zu erleichtern

taz: Herr Wörle, gehört der Meisterbrief ins Altpapier?

Michael Wörle: Nicht in jedem Fall. Wenn die Prüfung etwas taugt und der Kunde merkt, dieser Handwerker ist qualifizierter als ein anderer, ist der Meisterbrief etwas wert. Aber: Dieser Brief ist nicht per se eine Qualifikation. Zum Teil wird sehr veraltetes Wissen gelehrt; außerdem diskriminiert der Zwang zum Meistertitel kreative Quereinsteiger.

Wirtschaftsminister Clement plant, genau das aufzubrechen – indem er Handwerksberufe so umwandelt, dass Selbstständige keinen Meistertitel mehr brauchen.

Wenn tatsächlich viele der klassischen Handwerksberufe nur noch als „handwerksnahe“ Berufe gelten, hat das einen entscheidenden Vorteil: Ein Handwerker kann sofort in die Selbstständigkeit starten, ohne eine staatliche Genehmigung abzuwarten. Aber die rot-grüne Koalition hat schon häufiger Vorschläge gemacht, die nicht umgesetzt wurden. Die so genannten Leipziger Beschlüsse, schon 2000 auf den Weg gebracht, sollten auch Selbstständigkeit ohne Meisterbrief ermöglichen. Danach ist leider nichts passiert.

Der aktuelle Vorschlag müsste in ein Gesetz gegossen werden, dem der Bundesrat zustimmen muss …

und hier besitzt die Union die Mehrheit, welche sich in der Vergangenheit immer handwerksfreundlich gezeigt hat.

Sie ist eine treue Vasallin der etablierten Handwerkslobby wie übrigens auch die Gewerkschaften. Deswegen glaube ich nicht, dass diese Reform der Handwerksordnung durchkommt.

Folgen Sie Clements Kernargument: Mehr selbstständige Arbeitgeber stellen mehr Leute an, es gibt also mehr Jobs?

Ein Wirtschaftszweig, der über die Maßen geschützt wird wie das Handwerk, entwickelt sich langsamer als andere. In Deutschland herrschen durch die Überregulierung unhaltbare Zustände: Die Behörden schließen Firmen, die erfolgreich arbeiten. Der Vorschlag des Wirtschaftsministers würde die Branche beweglicher machen. Außerdem: Wenn die legale Beschäftigung unkomplizierter wird, nimmt die Schattenwirtschaft ab. Ich glaube, es würden neue Arbeitsplätze entstehen.

In welcher Größenordnung?

Es gibt Schätzungen, die von einer Million Arbeitsplätzen ausgehen. Das halte ich für durchaus realistisch.

INTERVIEW: ULRICH SCHULTE