Tochter, Mutter, Kämpferin

von TINA HÜTTL

Aras Maroufs Töchter haben ihr das Handy vor einem Jahr geschenkt. Damit sich die Mutter immer bei ihnen melden kann, bei der 11-jährigen Kani und der 20-jährigen Lana. Wer jetzt aber die Nummer der Exil-Irakerin wählt, ist mit Kani verbunden. In diesen Tagen ist sie so etwas wie die persönliche Sekretärin der Mutter. Sie vergibt Termine und Kontaktadressen, denn das Telefon klingelt seit den ersten Bomben auf Bagdad pausenlos. Die Medien interessieren sich für Aras Marouf, 48 Jahre alt, Mitarbeiterin im Sozialministerium des Saarlands, irakische Oppositionelle kurdischer Herkunft, Feministin im Exil.

Es klingt zynisch, aber die mediale Realität ist: Die rund 80.000 Iraker und Irakerinnen, die aus ihrer Heimat nach Deutschland geflohen sind, haben Konjunktur. Plötzlich interessieren sich deutsche Journalisten für ihr Schicksal. Sie stellen Fragen wie: „Was denken Sie über den Krieg?“ „Wie ist Ihr Kontakt zur Familie in der Heimat?“ Oder: „Was wollen Sie nach dem Krieg tun?“

Aras Marouf ärgert das nicht. Sie kennt das Spiel, sie sieht darin ihre Chance. Auch vorher war die Irakerin, die in Saarbrücken lebt, politisch aktiv und hat sich für Frauenhäuser im Nordirak engagiert. Aber jetzt nimmt eine breite Öffentlichkeit von ihrer Arbeit und Person Notiz. Sie wird von Zeitungsreportern befragt, tritt im Fernsehen auf und nimmt an Diskussionsveranstaltungen teil.

Sie sagt nicht direkt, dass sie für diesen Krieg ist. Aber sie sagt auch: „Ich kann nicht für einen Frieden im Irak sein, solange ein Saddam Hussein darauf sitzt. Er hat der Welt bewiesen, dass er nur das Mittel der Gewalt versteht.“

Auf einer der Podiumsdiskussionen, erzählt sie, kam ihre Meinung bei dem jungen und kriegskritischen Publikum nicht so gut an. Dann aber habe ein junger französischer Kriegsgegner ihr nach der Veranstaltung gesagt, er verstehe jetzt ihre Haltung. Die Frau mit den langen schwarzen Haaren und den dunklen Augen kann sehr gut emotional argumentieren. Wenn Aras Marouf die Geschichte ihrer Freundin erzählt, die eines Tages einfach von der Uni verschwand und die, wie sie am nächsten Tag erfuhr, von Dutzenden arabischen Offizieren im Hotel Salaam in Bagdad – wörtlich: Hotel des Friedens – vergewaltigt und zerrissen wurde, dann fallen kritische Einwände schwer.

Viele ihrer deutschen und irakischen Bekannten und Kollegen könnten sie jedoch nicht mehr verstehen, sagt Marouf. Sie, die aktiv in der Friedensbewegung war, gegen den Kosovokrieg, gegen den Afghanistankrieg demonstrierte. Einige ihrer früheren Weggefährten nennen sie Kriegstreiberin. Ihre Tochter Kani hat in der Schule Plakate gegen den Krieg gemalt und geht mit den Klassenkameraden auf Friedensdemos. Die allein erziehende Mutter findet das Engagement ihrer Tochter gut.

Sie selbst fühlt sich von der Friedensbewegung jedoch auf der Strecke gelassen. „Wer schreibt, Bush gehört vor das internationale Kriegsverbrechertribunal, der muss konsequenterweise darunter schreiben: Saddam auch.“ Die Friedensbewegung ignoriere und vertusche Saddam Husseins Grausamkeiten. Dennoch akzeptiert Marouf die Haltung deutscher und irakischer Friedensaktivisten: „Das gehört eben mit zur Demokratie“, sagt sie. Überhaupt sei diese Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung das Beste, was sie hier in Deutschland lernen durfte. Im Irak wisse doch vor lauter Angst keiner mehr, was er überhaupt noch denken darf.

Aras Marouf wurde 1954 in Suleimanija, einer zirka 500.000 Einwohner zählenden Stadt im kurdischen Teil des Iraks geboren. Ihr Vater Nuri Ahmed Taha war Mitbegründer der ersten demokratischen Partei Kurdistans, bevor sich diese in die heutige Kurdische Demokratische Partei (KDP) und in die Patriotische Union Kurdistans (PUK) aufspaltete. Erinnerungen an ihre Kindheit sind vom Leben im Untergrund und der Abwesenheit des Vaters geprägt. Er versteckte sich viele Jahre als Flüchtling in Deutschland und kehrte erst Mitte der 70er-Jahre in den Irak zurück – gezwungenermaßen. Das Baath-Regime hatte seine Familie als Geisel genommen, damals war Aras Marouf 22 Jahre alt.

Ein großes Indianerspiel

Zurück im Land stellte man den Vater unter Arrest, seinen Kindern verbot man, sich politisch zu betätigen. „Natürlich hielten wir uns nicht daran, von uns acht Geschwistern haben fast alle seinen Weg eingeschlagen“, erzählt sie. Mehrmals floh die Familie. „Die Flucht in die kurdischen Berge erlebten wir Kinder oft wie ein großes Indianerspiel.“ 1991, am Ende des zweiten Golfkriegs, rächte sich Saddam Hussein an den Kurden, Aras Maroufs Vater floh in den Iran. In der Stadt Mahabad starb er an einem Herzinfarkt.

Seit dem Tod des Vaters sei sie noch aktiver geworden, sagt Aras Marouf. Da war sie schon in Deutschland. „Politik ist immer ein Großteil unseres Familienlebens gewesen.“ Den beiden großen kurdischen Parteien, der KDP und der PUK, steht sie kritisch gegenüber. Wenn sie gemeinsam mit deren Vertretern auf Veranstaltungen spricht, achtet sie darauf, parteipolitisch unabhängig zu bleiben. Gleichzeitig erfüllt sie die Stärke der heutigen irakischen Opposition mit Hoffnung: „Zum ersten Mal gibt es jetzt eine irakische Opposition, die miteinander kommunizieren kann, die sich gegenseitig respektiert, ohne aufeinander loszugehen.“ Unter den Exilorganisationen, Parteien und unabhängigen Oppositionellen, die letztes Jahr in London und in diesem März in Salahadin in Irakisch-Kurdistan über die Zukunft eines demokratischen Iraks berieten, seien großartige und intelligente Menschen.

Die Kurdin träumt von einem multiethnischen, multireligiösen und multikulturellen Irak, in dem alle die gleichen demokratischen Rechte haben. Sie sagt, sie wisse, dass das für lange Zeit nur ein Wunsch bleiben wird, dass der Weg dorthin weit ist. „Wir Iraker sind gerade mal auf der ersten Stufe, dass wir einander an einem Tisch akzeptieren können, ohne gleich handgreiflich zu werden.“ Es wäre falsch und gefährlich, Menschen, die seit 30 Jahren moralisch von diesem Regime zerstört wurden, von Anfang an gleiche Rechte einzuräumen. Gerade die Kurden, die am meisten gelitten hätten, bräuchten besonderen Schutz. Später fügt sie hinzu: „Sie brauchen auch einen eigenen Staat.“

Vielvölker- oder Kurdenstaat?

Ihre Träume vom irakischen Vielvölkerstaat und einem unabhängigen Kurdistan lassen sich nur schwer in Einklang bringen. Auch in ihr kämpfen wohl die widersprüchlichen Gefühle von nationalem Bewusstsein und Toleranz. Dies wird deutlich, wenn die diplomierte Agrarwissenschaftlerin von ihrer Studienzeit erzählt. Zu ihrem Alltag auf der Anfang der 80er-Jahre verbotenen Universität Suleimanija gehörten ausländische Professoren und Studenten aus allen Teilen der Welt. Viele ihrer Kommilitonen und Freunde seien aus den Vorlesungen gerufen worden und nie wieder zurückgekehrt, darunter nicht nur kurdische, sondern auch arabische, kommunistische oder schiitische Studenten. Auf der einen Seite stand die Verbundenheit zu anderen Studenten ungeachtet der Herkunft, auf der anderen Seite die Arabisierungspolitik des Regimes. Denn zum Alltag der Universität gehörte auch, dass jeder arabische Student mit kostenlosen Flitterwochen und einer Position im Staatsdienst belohnt wurde, wenn er ein kurdisches Mädchen zur Frau nahm.

Nachdem Aras Maroufs Bruder, ein Politik- und Philosophiestudent, verhaftet und gefoltert wurde, verließ sie 1981 ihr Land. In Saarbrücken hat sie sich ihr zweites Leben aufgebaut. Zuerst arbeitete sie für das saarländische Umweltministerium, später mit Flüchtlingen, Immigranten und Jugendlichen im Sozialministerium. Doch trotz ihres Erfolgs im Beruf und zwei Kindern, die sich, wie sie sagt, deutsch fühlten, gibt es eine Sehnsucht nach ihrem Land.

Vor zwei Jahren wagte sie die Einreise nach Kurdistan. Zum ersten Mal in ihrem Leben habe sie dort Straßen gesehen, die nicht von bewaffneten Soldaten bevölkert waren. Weil sie es sich zur Aufgabe machte, zu erfahren, wie es den Menschen dort geht, interviewte sie 153 kurdische Taxifahrer. An die Antwort eines Mannes kann sie sich besonders gut erinnern: „Ich sag’s Ihnen“, habe er zu ihr gesagt, „auch wenn wir wirtschaftlich ruiniert sind, kann es jetzt niemand mehr wagen, mich nachts aus meinem warmen Bett zu holen und mich nie wieder zu meiner Familie zu bringen.“ Ihren Kollegen im Ministerium hat sie daraufhin ein Fax geschickt, darin stand: „Es kann schon sein, dass ich gar nicht mehr zurückkomme.“

Natürlich ist sie zurückgekehrt. 21 Jahre in Deutschland sind genug, um Aufgaben und Freunde zu finden, auch wenn es nicht das eigene Land ist. Sie sagt: „Ich möchte nicht nach 21 Jahren wieder aus meiner zweiten Heimat vertrieben werden. Ich habe zwei Töchter hier, allein der Bruch für die beiden wäre eine Katastrophe.“ Für April hat sie Urlaub genommen. Sie ist zuversichtlich, dass sie dann für friedliche Einsätze in den Irak reisen kann, denn beim Aufbau helfen will sie auf jeden Fall.