amerika im krieg (15)
: Ein Tagebuch unseres USA-Korrespondenten Michael Streck

Ein Spiegelbild Amerikas

Neun Tage bin ich kreuz und quer durch die Bundesstaaten Mississippi und Alabama gefahren, um in Zeiten des Krieges einen Blick über die sich selbst so wichtig nehmende amerikanische Hauptstadt hinauszuwerfen. In den wenigen Tagen habe ich mehr gelernt über dieses Land als in Wochen in Washington. Ich habe einen Menschenschlag getroffen, der direkt, warmherzig, stolz, neugierig und streitlustig ist.

Dieser Teil der Südstaaten ist eigenwillig und zugleich Spiegelbild ganz Amerikas, eine faszinierende Schnittstelle zwischen Bürgerrechtsbewegung, fortlebendem Rassismus, „Bibelgürtel“ und Dritter Welt. In vielen Gegenden ist die Zeit stehen geblieben. Es gelten immer noch skurrile Gesetze aus den Gründungszeiten der Nation, die das Alltagsleben unterschiedlichster Einwanderer regeln mussten: So sind Spiele am Sonntag und wilde Ehe verboten, das Waffentragen im Gottesdienst ist jedoch erlaubt.

Ich konnte mich ständig überraschen lassen: Der Tankwart an irgendeiner abgelegenen Landstraße entpuppte sich als Verehrer Europas, glühende Umweltaktivisten erwiesen sich als Bush-Fanatiker. Selten habe ich so gebrochene und wenig vorhehrsehbare Haltungen gefunden wie hier. Nie habe ich so viele christliche Fundamentalisten getroffen, deren religiöser Eifer atemberaubend ist.

Die Attribute konservativ und liberal haben sich oft als wenig hilfreich erwiesen, Einstellungen zu beschreiben. Menschen mit emanzipiertem Privatleben hatten oft verengte politische Ansichten und umgekehrt. Weiße Protestanten waren noch am ehesten jene, die dem Vorurteil entsprachen: gegen Abtreibung, UNO, Bill Clinton und für den Krieg und George W. Bush. Diese Bevölkerungsgruppe ist zwar laut, da sie sich Gehör und Einfluss verschaffen kann, aber nicht unbedingt repräsentativ. Ihre Zahl nimmt stetig ab.

Die Schwarzen sind vielleicht das beste Beispiel der gebrochenen Haltung. Seit Martin Luther King glauben sie an die Kraft friedlichen Widerstands. Vehement lehnen sie den Irakkrieg ab. Dennoch befinden sich überproportional viele Schwarze in den Streitkräften. Die Armee ist oft die einzige Chance zu sozialem Aufstieg. Sie kämpfen einen ungewollten Krieg, schlicht weil es ihr Job ist. Ihre Angehörigen wünschen sich eine schnelle, unblutige Schlacht, baldige Heimkehr und keine jahrelange Stationierung. Für sie ist der Krieg real, für viele Weiße hingegen beschränkt er sich auf ein abstraktes Medienschauspiel. Die irakische Bedrohung ist für diese nur ein künstlicher Begriff aus dem Weißen Haus.