Russland braucht die UNO und fürchtet die USA

Die Beziehungen zwischen Russland und den USA sind mies. Putin kämpft um einen Platz in der neuen Weltordnung

MOSKAU taz ■ Um die Meinung des russischen Volkes zum Irakkrieg herauszufinden, braucht man keine Umfrageergebnisse. Egal, wen man auf das Thema anspricht, vom Kindermädchen bis zum Uniprofessor sind die Ansichten gleich: Der Krieg gegen den Irak sei eine amerikanische Aggression, Bagdad habe niemandem etwas zuleide getan, und Washington gehe es sowieso nur um das irakische Öl.

Das sind bekannte Positionen, und doch reiht sich die russische Ablehnung des Irakkrieges kaum in die weltweiten Proteste ein, und dies nicht nur, weil in Russland nie mehr als einige hundert Demonstranten auf die Straße gegangen sind. Ost und West stellen sich aus verschiedenen Motiven gegen den Krieg. Ist es in Westeuropa größtenteils Pazifismus, der die Menschen antreibt, ist es in Russland solider Antiamerikanismus. Die meisten russischen Gesprächspartner wünschen den Amerikanern zwar nicht gerade offen Unglück, viele hoffen jedoch im Stillen, dass sich diese im Irak wenigstens eine blutige Nase holen.

Auf den ersten Blick scheint sich die Stimmung in der Bevölkerung kaum von jener in der russischen Führung zu unterscheiden. Präsident Wladimir Putin spricht von der schwersten Krise seit dem Ende des Kalten Krieges. Er hat die Militäraktion im Irak mit klaren Worten verurteilt und verlangt nach wie vor das sofortige Ende der Kampfhandlungen und eine Lösung des Problems innerhalb des UNO-Sicherheitsrates. Zudem zeigt Putin keinerlei Bereitschaft, als Seiteneinsteiger an Bord des amerikanischen Bootes zu gehen und die Militäraktionen im Nachhinein durch die UNO absegnen zu lassen. Moskau lehnt die Idee des Regimewechsels und der Demokratisierung von außen kategorisch ab und ist deshalb auch nicht bereit, über einen Irak nach Saddam Hussein zu diskutieren.

Diese harte Haltung irritiert die USA. Ganz offensichtlich hatte man von Russland eine stillschweigende Unterstützung des Alleingangs erwartet. Während des Gezerres im UNO-Sicherheitsrat hatte Washington Russland von seiner harschen Kritik ausgespart. Putin seinerseits sprach sich zwar gegen den Krieg aus, vermied aber jegliche Konfrontation mit George W. Bush. Umso auffallender sind nun die rüden Töne aus Washington. Der Vorwurf etwa, Moskau habe zugelassen, dass russische Firmen dem Irak Waffen geliefert haben, die nun US-Boys töteten, hat in Moskau einen Proteststurm ausgelöst. Kaum jemand glaubt den Versicherungen von Außenminister Igor Iwanow, Russland habe seit den 80er-Jahren kein Kriegsmaterial mehr nach Bagdad geliefert. Doch die öffentliche Inszenierung der amerikanischen Attacken bringt auch gemäßigtere Kreise zur Überzeugung, die Anschuldigungen seien die Rache für Moskaus Widerborstigkeit. Und diese Art der „Disziplinierung“ ist in Russland ganz schlecht angekommen. Von einem neuen Kalten Krieg ist die Rede.

Doch so sehr Putin die Meinung seines Volkes zu vertreten scheint, seine Motive für den Widerstand gegen Amerika sind ganz andere. Ihm dürfte es vor allem um die neue Weltordnung gehen, die sich dieser Tage abzeichnet, und die für Moskau eine äußerst ungünstige Startposition vorsieht. Russland hat längst nicht mehr die Kraft, den Antipoden zur Supermacht USA zu spielen. Deshalb ist die UNO beziehungsweise der UNO-Sicherheitsrat der einzige Ort, wo Moskau dank seiner Vetomacht noch direkten Einfluss auf die Weltpolitik nehmen kann. Spielt dieses Gremium in Zukunft keine Rolle mehr und gilt wirklich wieder das Recht des Stärkeren, wie Putin ausdrücklich warnt, wird die verblühte Großmacht Russland auf der Weltbühne bis zur absoluten Ohnmacht marginalisiert.

Mit dem Antiamerikanismus, der derzeit in Russland boomt, hat Putin selber wohl wenig zu schaffen. Im Gegenteil dürfte er ihm sogar lästig sein. Denn der russische Präsident hat viel persönliches Prestige mit der neuen „russisch-amerikanischen Freundschaft“ verbunden. Er kann Washington nun nicht in Grund und Boden verdammen, ohne seine amerikafreundliche Außenpolitik der letzten 18 Monate als offensichtlichen Fehlschlag darzustellen. Denn Früchte dieser „Partnerschaft“ kann er keine vorweisen: Die USA haben vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht viel versprochen. Eingelöst haben sie davon praktisch nichts. Und die Kritik am russischen Feldzug in Tschetschenien ist zwar leiser geworden, doch in russischen Ohren ist sie noch immer viel zu laut. Zudem darf man nicht vergessen: Russland ist im Wahljahr. Auch wenn Putin den Antiamerikanismus vieler Wähler nicht teilt, kann er ihm derzeit nicht offen entgegentreten.

Doch der russische Präsident ist weiter daran interessiert, sich nicht direkt gegen die USA zu stellen und alle Türen offen zu halten. Putin weiß genau, dass er in einer Konfrontation wie im Kalten Krieg nichts zu gewinnen hat. Klar ist jedoch auch, dass die romantische Phase der „amerikanisch-russischen Partnerschaft“ vorbei ist, in der es reichte, sich hinter einen wenig konkreten „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ zu stellen. Inzwischen spielen wieder die alten Differenzen eine Rolle, und Bush kann von Putin schließlich schwerlich verlangen, dass Russland seine Interessen denen Amerikas einfach unterordnet. ZITA AFFENTRANGER