Glücksfee ohne Gewinner

Leistung statt Rumgekaspere! Die Cheerleader-Truppe „Dance Team“ des „Berlin Thunder“-Footballteams meint es ernst. Trainieren bis zur Schmerzgrenze und werben für den Verein. Und hoffen auf eine eigene Karriere, irgendwo im Showbusiness

VON PATRICK BATARILO

Georg W. Bush hat es getan. Kirk Douglas auch. Die Rede ist vom Cheerleading. Doch was in Amerika üblich ist – Männer als Cheerleader –, liegt in Deutschland außerhalb des Vorstellbaren. Selbst weibliche Cheerleader genießen trotz Arte-Doku und Sparkassenwerbung Exotenstatus. Man denkt an Puschel, Pyramidenakrobatik und zieht die Augenbrauen hoch. Die Muskelkraft, mit der Bush junior einst die Cheerleader-Pyramide der Yale-University stemmte, wäre bei den Cheerleader-Girls der „Berlin Thunder“ ohnehin nicht gefragt.

Statt zu „cheeren“ – also anzufeuern – tanzen die Cheerleader der „Berlin Thunder“ nämlich, zu HipHop und Rockmusik. Ihren Auftritt haben sie, zumindest außerhalb der Saison, auf einer Bühne in der Lobby des Merriot Hotels am Potsdamer Platz. Jeweils zu sechst treten sie auf, in wechselnden Outfits, klassisch knapp oder Streetwear, sechs mal am Abend. Nach Mitternacht wird das Superbowl-Endspiel – der Höhepunkt der amerikanischen Footballsaison – übertragen. Das Footballteam „Berlin Thunder“ hat dazu ins Merriot eingeladen. Bis dahin geben die Cheerleader Autogramme, als wären sie die eigentlichen Stars.

Offiziell heißt die Mädchentruppe übrigens seit kurzem „Dance Team“. Dass mit dem Wort „Cheerleader“ auch die Megaphone und Pyramiden verschwunden und selbst die Puschel seltener geworden sind, weist schon darauf hin, dass sich der Eventcharakter ihrer Auftritte verselbstständigt und immer mehr ablöst von dem Sport, für den die Mädchen eigentlich hüpfen und jubeln sollten. Nicht völlig ohne Aussicht auf Profit, versteht sich.

Anna ist 18. Zwischen den anderen Cheerleadern, mit denen sie an der Brüstung des dritten Stocks auf den nächsten Auftritt wartet, wirkt sie klein und fast verloren. Aufgeregt, aber auch ein wenig stolz blicken die Mädchen in den Saal unter ihnen. Für Anna ist es ihr erster größerer Auftritt heute. Mit 16 war sie an einer High-School in Michigan. Doch die Cheerleader dort konnte sie nicht ausstehen. Die waren zwar beliebt, aber auf die falsche Art – zu tussig. Und die Pyramiden – in Annas Augen nur Rumgekaspere! Was Anna wollte und will ist: tanzen. Und das kann sie bei „Thunder“, professionell. Nur das viele Make-up – zu Beginn fühlte sie sich wie ein Clown.

Übrigens, wer hier nachhakt, bekommt – nicht nur von Anna – fast reflexhaft zu hören, wie hart die Mädchen doch trainieren! Diese sehr amerikanische Strategie, durch den Hinweis auf Leistung die Inszenierung von Erotik auszublenden, ist wohl ein Erbe des Puritanismus.

Doch vor Erotik muss sich an diesem Abend ohnehin keiner fürchten. Annas Nervosität schlägt in Enttäuschung um. Der Raum ist zu klein, die Stimmung mau. Ein Wettbewerb läuft: Wer ist der „craziest“ Fan und macht so richtig Stimmung? Nur Bambam und Mike wagen sich vor. „Crazy“ genug sehen sie mit ihren bemalten Jeansjacken und langen Bärten aus – doch auf der Bühne verlässt sie der Mut. Unsicher rufen sie die Cheerleader zu Hilfe. Doch die rühren sich nicht.

Das ist symptomatisch. Das Anheizen des Publikums, das die Amerikaner mit ihrem Sinn für Inszenierung und Paraden zu Beginn des Jahrhunderts durch die Erfindung des Cheerleaders professionalisiert hatten, ist bei „Thunder“ sekundär. Die Cheerleader sind vielmehr ein eigenes Produkt mit Werbewert geworden. Für den Verein – etwa wenn die Cheerleader die Bundeswehr im Kosovo besuchen. Oder für beliebige, natürlich zahlende Kunden. Allerdings haben nicht alle Cheerleader in Deutschland den Schritt zur „Dance Group“ gemacht.

Als in den Siebzigern Football hierzulande populär wurde, war vor allem der Sportaspekt des Cheerleadings wichtig. Bis heute setzen die Amateur-Verbände des Landes auf Meisterschaften und Akrobatik. Erst in den Neunzigern beschlossen die amerikanischen Football-Bosse, den Import ihrer geliebten Sportart nicht mehr den Europäern zu überlassen. Sie riefen die „NFL Europe“ ins Leben – um in Vereinen wie „Berlin Thunder“ ihre Spieler zu testen. Und natürlich, um dabei auch den einen oder anderen Euro zu verdienen. Erst jetzt zogen die Cheerleader die Turnschuhe aus und die Tanzstiefel an.

Auch Patricia Ann gehört zu dieser neuen Cheerleadergeneration. Gerade gibt sie mit professionellem Lächeln ein Autogramm. P. A. („pieh-äy“), wie sie genannt wird, ist 23. Seit 5 Jahren ist sie Cheerleader, sie gehört zur alten Garde. Eigentlich ist sie an der Schulter verletzt, trotzdem besucht sie jedes Training. Denn wer bei den Spielen im Frühjahr in der ersten Reihe stehen will, darf den Anschluss nicht verpassen. Hauptberuflich ist P. A. Büroassistentin. Zwar gibt es eine Aufwandsentschädigung für das Training. Und natürlich sind die Promotionauftritte bezahlt. Aber vom Cheerleading leben können auch die Thunder-Mädchen nicht. Trotzdem – zumindest ein Sprungbrett sehen einige von ihnen darin, meint P. A. Doch ein Sprungbrett wohin?

Fürs Erste führt der Sprung nur auf die Bühne des Merriot. Es ist der letzte Auftritt des Abends. Die Trainerin ruft die Mädchen auf Englisch zusammen. An einem Pfeiler lehnen zwei Jungs – Freunde der Cheerleader – und grinsen stolz. Ein paar Mädchen werfen den Cheerleadern verstohlen bewundernde Blicke zu. Dann geht es ein letztes Mal auf die viel zu kleine Bühne. Die Mädchen lassen ihre Pompoms rauschen. Eine von ihnen darf die Glücksfee bei einer Verlosung spielen; bei den anderen darf sich der Gewinner ein Küsschen abholen. Doch so gut die Promotionarbeit auch ist – in puncto Showbusiness hat Thunder noch einiges von den Amerikanern zu lernen: Zehn Namen werden gezogen, und nicht ein Gewinner meldet sich. Das liegt bestimmt nicht an den Cheerleadern, die artig ins Leere lächeln.