Bremer Senat im Blindflug

Was macht weniger Fluglärm: Eine längere Startbahn oder Starts mit Vollgas? Der Senat hat keine Ahnung, denn das Lärmschutzgutachten des Bremer Flughafens ist seit Jahren in Arbeit. Vielleicht nicht ohne Grund, mutmaßen Kritiker

taz ■ Sieben Starts und Landungen pro Nacht. So viele Flugbewegungen zwischen 22 und 6 Uhr zählte der Bremer Flughafen im letzten Jahr an jedem Werktag. Mit einer Reduzierung der Nachtflüge sei auch in diesem Jahr nicht zu rechnen, heißt es in einem heute zur Abstimmung stehenden Entwurf des Senats auf eine kleine Anfrage der Grünen. Und: „Der Senat wird weiterhin eine restriktive Handhabung der Ausnahmegenehmigungen für nächtliche Flugbewegungen verfolgen.“ Restriktiv? Monika Morschel von der Vereinigung zum Schutz Fluglärmgeschädigter kann darüber nur lachen. Bei sieben Starts und Landungen pro Nacht – was nütze da ein Nachtflugverbot, fragt auch Karin Mathes, umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. „Das ist keine aktive Lärmminderungspolitik“, schimpft sie.

Auch in einer anderen Lärmschutz-Frage kann der Bremer Senat noch nichts vorweisen. Seit 2001 arbeitet Heinrich Mensen, Luftverkehrswissenschaftler der Fachhochschule Wiesbaden, bereits im Auftrag der staatlich gelenkten Flughafen Bremen GmbH an einem Gutachten. Zentrale Frage: Könnte sich die Fluglärm-Belastung in Bremen verringern, wenn die Flieger die Bremer Startbahn in ihrer vollen Länge nutzen dürften? „Verwertbare Ergebnisse, Zwischenberichte oder gar ein Endbericht liegen nicht vor“, muss der Senat jetzt – zweieinhalb Jahre später – zugeben. „Das kann ja wohl nicht sein“, sagt Fluglärm-Gegnerin Morschel.

Bisher zählen die je 300 Meter langen Verlängerungsstücke an beiden Enden der Flieger-Piste offiziell nicht zur Start- und Landebahn. Sie dürfen nur vom so genannten „Super-Guppy“, dem riesigen Transportflieger, der die Airbus-Flügelteile nach Bremen bringt, benutzt werden. Das hat Bremen seiner Nachbargemeinde Stuhr und Flughafenanliegern vertraglich zugesichert – dafür, dass diese dem Bau der Verlängerung zugestimmt haben.

Immer wieder aber wird von verschiedenen Seiten die Forderung erhoben, die Piste in ihrer vollen Länge von 2.600 Metern auch dem normalen Flugverkehr zur Verfügung zu stellen.

Dann könnten die Flieger mit mehr Anlauf und weniger Schub und Lärm in die Luft gehen, hoffen manche. „Dann könnten endlich auch Direktflüge in die Karibik von Bremen aus starten“, hoffen Flughafen-Freunde.

Dann jedoch würden noch größere Flieger noch dichter über Bremer Dächer fliegen, befürchtet Morschel. Eine Freigabe der ganzen Piste für den regulären Flugverkehr lehnt sie deshalb strikt ab: „Das wäre für die Anwohner die Katastrophe.“

Gerüchten zufolge sollen Zwischenergebnisse des Gutachtens bereits vorliegen – Tenor: Auch eine Nutzung der Startbahn in voller Länge bringt keine Lärmentlastung für die AnwohnerInnen.

Gutachter Mensen aber spielt in seinem komplizierten Rechenmodell noch eine zweite Variante durch: Abheben mit Vollgas. Solche spritintensiven und Triebwerks-belastenden „Steilstarts“, so die Überlegung, wären zwar beim Abheben selbst und also für die direkten Flughafen-Nachbarn lauter. Die Flugzeuge würden aber schneller steigen und könnten folglich auch früher ihren eigentlichen Kurs einnehmen – und so etwa noch vor Stuhr buchstäblich die Kurve kratzen.

Mit einer solchen Auflage, die der Flughafen in seinen Startrichtlinien festschreiben könnte, mutmaßt Morschel, könnte der Betreiber versuchen, der Nachbargemeinde die Zustimmung zu einer Vertragsänderung abzuringen. Klar ist: Wenn nicht nur der Super-Guppy, sondern auch andere Flugzeuge die Verlängerungsstücke benutzen sollen, müsste zunächst der Vertrag mit Stuhr geändert werden.

Armin Simon