Offensive gegen Menschenhändler

Opfer von Schleppern, meist Zwangsprostituierte, sind recht- und hilflos, wenn sie auffliegen. Dabei werden sie als wichtige Zeuginnen gebraucht. Polizei und Beratungsstellen kooperieren nun stärker. Den Frauen droht aber weiter Abschiebung

von STEFAN WELLGRAF

Im Jahr 2000 vergewaltigt ein bekannter Berliner Bordellbesitzer – nennen wir ihn B. – ein minderjähriges Mädchen. B. hat zu dieser Zeit vier wirtschaftlich erfolgreiche Bordelle. Er gibt den Prostituierten Unterkunft, und seine Verbindungen zum organisierten Frauenhandel ermöglichen ihm, jederzeit an billige Arbeitskräfte heranzukommen. Nachdem die Polizei von dem Missbrauchsfall erfährt, führt sie Razzien in den entsprechenden Bordellen durch. Dabei werden mehrere illegal arbeitende Prostituierte, darunter auch das missbrauchte Mädchen, in Gewahrsam genommen. Die zum Teil eingeschüchterten und traumatisierten Frauen verweigern zunächst die Aussage. Die Berliner Polizei schaltet daraufhin In Via, eine katholische Organisation für Mädchen- und Frauenbetreuung, ein.

Dort bekommen die jungen Frauen eine Unterkunft, und sie werden vor Nachstellungen des Bordellbesitzers geschützt. Zudem erhalten sie von der Ausländerbehörde eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung. So sind die Frauen nach einiger Zeit bereit, mit der Polizei zu kooperieren. Die Polizei erfährt jetzt von den kriminellen Abrechnungsverfahren des B. und kann ein Strafverfahren gegen ihn in die Wege leiten. Wenig später folgen weitere Razzien und Hausdurchsuchungen. Der Bordellbesitzer wird schließlich festgenommen. Er muss für mehrere Jahre ins Gefängnis. Insgesamt werden 4,25 Millionen Euro sichergestellt.

Ein Fall B. ist in Berlin zwar nicht gerade alltäglich, aber auch keine Ausnahme mehr. Im vorigen Jahr hat die Polizei rund 400 Razzien in Bordellen und ähnlichen Betrieben vorgenommen, aus denen rund 75 Strafverfahren wegen Menschenhandels resultierten. Rund 120.000 Mädchen und Frauen, so schätzt man, werden jährlich nach Westeuropa verschleppt und dort zur Prostitution gezwungen. Berlin dient dabei aufgrund seiner geografischen Lage oftmals als Drehscheibe. Das eben skizzierte Beispiel zeigt, wie sinnvoll eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und Beratungsstellen bei der Bekämpfung des Frauenhandels sein kann.

Aus diesem Grund haben die Berliner Polizei und die Beratungsstellen für Opfer des Frauenhandels jetzt einen Kooperationsvertrag vereinbart. Kern ist eine Rufvereinbarung. Diese besagt, dass die Polizei aufgegriffene Opfer von Menschenhandel an Beratungsstellen wie In Via, Ban Ying oder Ona vermittelt. Den Frauen wird so ein sicheres Umfeld gegeben. Um den Opfern die Angst vor einer Abschiebung zu nehmen, soll die Polizei eine Duldung durch die Ausländerbehörde für die Dauer eines möglichen Prozesses erwirken. Betreut werden sollen aber nicht nur aussagewillige Frauen, sondern generell alle Betroffenen von Menschenhandel.

Im Gegensatz zu anderen Bundesländern gibt es in Berlin ohnehin eine gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen Polizei und Beratungsstellen. So hatte die Berliner Polizei bereits im letzten Jahr 32 ausländische Prostituierte an die Beratungsstellen vermittelt. Der jetzt abgeschlossene Vertrag ist also lediglich die rechtliche Regelung einer ohnehin gängigen Praxis.

Die nach Berlin verschleppten Frauen kommen meist aus Thailand, Bulgarien, Polen oder Russland. Vielen wurde eine Anstellung in der Gastronomie oder als Haushaltshilfe versprochen. Das gegenwärtige Ausländerrecht ermöglicht zwar eine vorübergehende Duldung für Opfer von Frauenhandel, aber keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Die illegal nach Deutschland gekommenen Frauen müssen also nach einem möglichen Verfahren gegen ihren Peiniger ausgewiesen werden. In anderen EU-Ländern wie Belgien hingegen können die betroffenen Frauen bleiben und sogar ihre Familien nachholen.