Erziehungsziel Frieden

Es stimmt nicht, dass Kinder die Hintergründe des Krieges noch nicht verstehen, sagt die 10-jährige Luna. Manche wüssten besser Bescheid als Erwachsene. Deswegen haben die Fünftklässler aus Prenzlauer Berg mit Eltern und Lehrern demonstriert

von INA KÖHLER

Nein, für Julia ist ein toter Delphin nicht besser als ein toter Mensch. „Der Mensch hat sich entschieden, Soldat zu werden, der Delphin weiß nicht, wofür er missbraucht wird“, sagt sie. Was die Schülerin der vierten Grundschule am Kollwitzplatz im Szeneviertel Prenzlauer Berg aufregt, ist ein Bericht der Berliner Zeitung, nach dem die Amerikaner die gutmütigen Meeressäuger zur Minensuche einsetzen. Zehn und elf sind Julia und ihre Klassenkameraden – sollten Kinder in diesem Alter wirklich schon die Kriegsberichterstattung konsumieren? Für Luna keine Frage. „Das ist so schwachsinnig“, sagt sie, „alle denken, wir wären noch zu klein, obwohl wir mehr wissen, als viele Erwachsene.“

Tatsächlich zeugen die Stapel von Zeitungen, ausgewählten Berichten und Kollagen in diesem Klassenraum von gründlicher Auseinandersetzung. Trotzdem bleibt der Krieg für die Kinder seltsam unwirklich: „Man kann irgendwie gar nicht begreifen, dass da Menschen sterben, auch wenn man im Fernsehen die Bilder von verbrannten Menschen sieht“, sagt Nina.

Für die Psychologin Sabine Skutta vom Arbeitskreis Neue Erziehung sind Nachrichten für die Seele von Kindern „schlimmer als jeder Film, weil allen Beteiligten klar ist, das ist das wirkliche Leben.“ Generell müsse man unterscheiden zwischen der Auseinandersetzung mit Krieg per se und der mit diesem Krieg. Im ersten Fall sei es im Sinne von Gewaltprävention auch schon für ganz kleine Kinder sinnvoll zu lernen: „Wie gehe ich mit Konflikten um und wie kann ich sie lösen?“ Ab circa 14 Jahren seien auch die Hintergründe des Krieges wichtig, um sich eine Meinung zu bilden und das Demokratieverständnis zu schulen. Trotzdem sei es oft nicht möglich, beides zu trennen und daher gerade für jüngere Kinder „ganz wichtig, dass sie von Eltern und Lehrern nicht mit ihren Fragen allein gelassen werden.“ Aus ihrer Erfahrung im Bereich interkulturelle Beratung sieht sie dafür besonderen Bedarf bei Migrantenkindern: „Gerade in diesen Familien sind die Eltern selber emotional besonders betroffen und Kriegsberichterstattung ist allgegenwärtig, deshalb brauchen die Kinder die Gewissheit, dass sie hier sicher und aufgenommen sind.“

Die Kinder der fünften Klasse wollen nicht geschont werden, schließlich seien sie besser informiert als der Durchschnitt. Gefragt, woran das liegt, sind sie sich einig: „An Temmi.“ Seitdem Michael Temme ihr Klassenlehrer ist, lesen sie jeden Morgen mit Begeisterung die Zeitung, schauen regelmäßig die Kindernachrichten und diskutieren aktuelle Ereignisse untereinander. Das Engagement des Lehrers trägt auch in der Zusammenarbeit mit den Eltern Früchte, nicht nur, dass die Hälfte von ihnen an der Klassenfahrt teilnimmt, auch zur Demo am Tag X haben sie ihre Kinder begleitet. „Zuerst war den Kindern das peinlich, weil wir die Einzigen waren, die da mit Transparenten und lautem Hallo durch die Stadt gezogen sind“, berichtet eine Mutter. Umso größer war die Begeisterung auf dem Alexanderplatz: „Die haben geklatscht, weil wir die einzige Grundschulklasse waren und haben unser Megaphon ausgeliehen“, erzählt Alexander begeistert. Was war das Tollste? „Diese Masse Menschen, und dass man gespürt hat, dass man nicht alleine ist.“

Das rechtliche Problem hat der Lehrer elegant gelöst, er hat die Demo als Unterrichtsgang Demokratieverständnis deklariert und das Einverständnis der Eltern schon vorher eingeholt. Dass seine Kollegen diesem Beispiel nicht gefolgt sind, bedauert er: „Es hätten viel mehr Kinder teilgenommen, wenn die Schulen eindeutiger reagiert hätten.“

Die Kinder hat das Erlebnis verändert: „Bisher war Krieg für uns immer der Zweite Weltkrieg und hatte nur mit unseren Eltern und Großeltern zu tun“, sieht Max plötzlich die eigene Biografie betroffen. Er denkt, dass die anderen Länder den Krieg „nur wegen den USA mitmachen“. Für Max kein Ruhmesblatt: „Wenn ein Freund zu mir sagen würde, los komm, wir verhauen den da, dann würde ich doch auch nicht mitmachen.“