piwik no script img

„Everything to stop the war“

Helen John, 65, britische Friedensaktivistin, wird alles im Rahmen zivilen Ungehorsams tun, um den Irakkrieg zu stoppen. Auf der jüngsten Berliner Montagsdemonstration sprach sie als Gastrednerin

Den Hammer, mit dem sie eine US-Basis beschädigt hatte, trug sie wie eine Trophäe

von WALTRAUD SCHWAB

Das hat sie getan: Auf das House of Parliament in London „No Star Wars“ gesprayt. Mit einem Bolzenschneider die Zäune militärischer Anlagen zerschnitten, als „Unbefugte“ fremdes Gelände betreten, mit einem Hammer Fenster eingeschlagen auf einer US-Armee-Basis. „Außerdem bin ich eine Diebin.“ Denn den Hammer, mit dem sie den Glasbruch bewirkte, hat die grauhaarige 65-Jährige geklaut. Wie eine Trophäe habe sie ihn aus der Werkstatt getragen. Der Britin, die auf der letzten Montagsdemonstration Gastrednerin war, geht es um zivilen Ungehorsam. Er ist ihr zur Verpflichtung geworden, nicht erst seit dem Irakkrieg.

Prätentiöse Etikette und britisches Understatement hat die stellvertretende Vorsitzende der „Kampagne für nukleare Abrüstung“ (CND), der größten britischen Antikriegsorganisation, abgelegt. Sie begriff früh, dass das zivile Gleichgewicht gestört ist: Als die britischen Hebammen – John war eine von ihnen – für alle Entbindungsstationen Inkubatoren forderten, wurde dies mit Verweis auf die Kosten abgelehnt. Als kurz darauf zwei senkrechtstartende Flugzeuge abstürzten, seien diese sofort ersetzt worden, erzählt sie. Das zweite Schlüsselerlebnis: Zwei ihrer fünf Kinder waren noch klein, als in Großbritannien atomare Mittelstreckenraketen stationiert wurden. John sah keine lebenswerte Zukunft für sie. Das hat sie radikalisiert. Nicht nur, dass Atomwaffen die Negation menschlichen Lebens sind, erzürnt sie, „Atomwaffen haben konventionelle Waffen zudem legitimiert“.

Seit fast 24 Jahren gehört Helen John zu jenen Friedensaktivisten, die Sand ins Getriebe der Militärmaschinerie streuen. Zuerst in Greenham Common, dem Standort für Cruise Missiles in Berkshire. Jahrelang kampierten Frauen außerhalb der Anlage und versuchten, trotz Schikanen und Kriminalisierung, immer wieder auf das Gelände zu kommen, um etwas zu beschädigen. Kam es zur Anklage, gewährten Gerichtsverhandlungen eine Plattform, auf der ausgehandelt werden konnte, wer den eigentlichen Schaden anrichtet: Die Regierung, die amerikanische Atomraketen auf ihrem Territorium billigt, oder Frauen, die einen Farbbeutel gegen ein Raketensilo werfen? „Veränderungen gibt es nur durch Protest“, sagt John. Ein Jahr lang gehörte sie zu den Aktivistinnen von Greenham Common. Später demonstrierte sie vor Fylingdales, wo Radarkontrollanlagen installiert sind, die einen Angriff auf die USA abwehren sollen. In neuerer Zeit sitzt sie vor Menwith Hill in North Yorkshire, einer US-Spionagebasis.

In Menwith Hill seien keine Flugzeuge zu sehen. Lediglich riesige Satellitenantennen. Niemand bringe die Militärbasis mit Krieg in Verbindung. Mit ihrem Protest vor der Anlage stellt John den Zusammenhang her: „Denn von Menwith Hill aus werden zum Teil die Flugrouten von ferngesteuerten Geschossen, die im Irak abgeworfen werden, kontrolliert.“ Zudem weiß sie, dass dort jegliche europäische Telekommunikation abgehört werde. Die US-Regierung – in Johns Worten nur mit der Mafia vergleichbar – bespitzelt die ganze Welt. Ziel: größtmöglicher Profit. Deutschland hätte durch dieses „friendly spying“ bereits Wettbewerbsnachteile in siebenstelliger Millardenhöhe zu verzeichnen, wie der Echelon-Report der EU belege. Aus Johns Sicht ist das einer der Gründe für Schröders Nein zum Krieg. Der andere: Dass die Deutschen nichts mit amerikanischen und britischen Kriegsverbrechen zu tun haben möchten.

Für ihren zivilen Ungehorsam saß Helen John mehr als einmal in Haft. Ihr letzter Gefängnisaufenthalt 2001 fiel in die Zeit der Unterhauswahlen. Trotzdem ließ sie sich als unabhängige Gegenkandidatin in Tony Blairs Wahlkreis aufstellen und sorgte dafür, dass all jene Themen öffentlich gemacht wurden, die Blair, den sie „einen Schmierenkomödianten, Hochstapler“, einen „hohlen Kriminellen“ nennt, über Bord geworfen hat: die Folgen der Militarisierung und der Sozialabbau. Weiteres Resultat ihres Engagements: Die Einreise in die USA ist ihr auf Lebenszeit verboten. Was es bedeutet, wenn ein eigenes Kind plötzlich stirbt, hat Helen John erfahren. „Nun ist mein Land für solches Leid tausendfach verantwortlich. Wie will Blair das den Müttern im Irak erklären?“ Die britischen Aktivistinnen und Aktivisten werden alles tun, um Blair vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zur Verantwortung zu ziehen.

Anders als die Friedensbewegung in Deutschland, die in Einklang mit der Regierung ihre Stärke aus der tief verankerten, emotionalen Ablehnung aufgrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges ziehen muss, liegen in Großbritannien die Konfliktlinien offen. Friedenscamps sind dort nicht so beschaulich wie jenes Unter den Linden. In England sind sie Teil des zivilen Widerstands. Das fordert ganz andere Konsequenzen. Auch Helen John sagt: „I do everything to stop the war.“ Dass ihre Entschlossenheit mit der von Ulla Roder zu vergleichen ist, die im März auf einer schottischen Militärbasis einen Tornado mit einem Hammer so demolierte, dass er nicht mehr für den Irakeinsatz taugte, daran lässt sie keinen Zweifel. Der Schaden, den Roder angerichtet hat, wird auf 25 Millionen Pfund beziffert. Auch was die deutsche Friedensbewegung angeht, sieht John Spielraum für zivilen Ungehorsam. Warum nicht nach Irland schauen? Dort belagern Kriegsgegner immer wieder die Landebahnen auf dem Shannon-Airport, attackieren mit Hämmern die zwischenlandenden Militärmaschinen und graben die Landebahn auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen