reformpolitik
: Eine Sprache für die SPD

Mittlerweile entfalten die Reformen der Agenda 2010 eine Eigendynamik, bei der jeder Reformschritt auf die Notwendigkeit eines folgenden verweist. Doch die Sozialdemokratie sieht dadurch mehrheitlich noch immer jenes sozialstaatliche Erfolgsmodell denunziert, das sie groß gemacht hat. Die Alternativlosigkeit dieser Lage nährt ihren Widerwillen und ihr Hadern mit der eigenen Führung. Diesem Hadern haben Franz Müntefering und Gerhard Schröder mit dem Wechsel an der Parteispitze nicht nur eine Berechtigung, sondern, was schlimmer für den Reformprozess ist, eine gewisse Erfolgsträchtigkeit attestiert.

KOMMENTARVON DIETER RULFF

Sie haben damit Geister geweckt, die sie nicht mehr so schnell loswerden. Die Geister der Gewerkschaften, die wieder hoffen, im Willy-Brandt-Haus gewinnen zu können, was sie vor den Werkstoren an Einfluss verloren haben. Die Wiedergänger aus dem Saarland, die die Klassenkämpfe ausfechten wollen, für die es schon lange keine Klassen mehr gibt. Und all die wahlkämpfenden Mitglieder, die hoffen, dass der Bürger ihnen seine Stimme gibt, wenn sie ihm nur aufs Maul schauen.

Diesem Druck ist die neue SPD-Führung ausgesetzt, und noch ist offen, ob allein Münteferings offeneres Ohr die Schmerzen der Sozialdemokratie lindern wird – oder ob er zu diesem Behufe nicht in den Fundus jener Maßnahmen greifen wird, deren Wirksamkeit zwar von der Regierung bezweifelt wird, die jedoch noch ein altes sozialdemokratische Gütesiegel tragen. Wolfgang Clements Kokettieren mit einem Rücktritt legt nahe, dass solche Befürchtungen im Kabinett gehegt werden.

Die SPD-Führung hat den von ihr angestrengten Reformprozess in keine sozialdemokratische Semantik fassen können. Reformfähigkeit und Fortschritt bemaßen sich schließlich sogar an dem Widerstand, welcher der Regierung intern entgegengebracht wurde. Münteferings Aufgabe wird es sein, eine einheitliche Sprache zu buchstabieren. Als Mittler zwischen Basisbelangen und Regierungserfordernissen wird der geläuterte Traditionalist den ideellen Gesamtsozialdemokraten verkörpern.

Aus dieser Position heraus hat er bereits dekretiert, dass 2006 wieder Gerhard Schröder antritt. Als solcher wird er aber auch entscheiden, mit welchem Programm Schröder wieder antritt – und wer ihm nachfolgt. Müntefering wird ein Vorsitzender des Übergangs sein und doch zugleich bedeutend mehr als ein Übergangsvorsitzender.