Rückrufaktion
: Fundgrube: Die horen

„Dreizehn Rückrufe ins Leseland“ heißt der neueste Band der horen. Sein Titel ist programmatisch für das Konzept der in Bremerhaven verlegten und von Johann P. Tammen herausgegebenen „Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik“. Denn „Rückrufe“, Erinnerungen an fast oder ganz vergessene Autoren und Bücher, sind ein Kernthema der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift. „Das Wünschen ist ja immer noch erlaubt“ schreiben Johann P. Tammen und Heiko Postma im Editorial. Sie wünschen sich „neugierige Leser zuhauf“ und haben auf den 232 Seiten so viele unterschiedliche Geschichten von vergessenen Büchern und Menschen zusammengetragen, dass jeder etwas Interessantes findet. Zum Beispiel die Geschichte des Thomas Chatterton, ein Poet und Fälscher des 18. Jahrhunderts, der in London, nicht einmal 18, an einer Überdosis Arsen starb. Heiko Postmas gewitzter Bericht über das Leben dieses Wunderkindes ist mit Originaltexten angereichert. Von da wandern die Herausgeber bis in jüngere Zeiten: Etwa zu dem amerikanischen Erzähler James Thurber, der 1961 starb,oder zu Alejandra Pizarnik, einer argentinischen Lyrikerin jüdischer Herkunft, die sich 1972 das Leben nahm. Anastasia Telaak erkennt in ihr „eine der eindrucksvollsten lyrischen Stimmen“ Lateinamerikas: Exzentrische Allüren, rauschhaftes Nachtleben, exzessiver Drogenkonsum – und Tagebuch-Notate wie diese: „Lust, mich an eine Wand zu knallen, mich zu zerfetzen, mir eine Bombe zu legen … mich schützt mein Mädchengesicht nicht mehr.“

Hans Happel

die horen – Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik, 10,50 Euro