Nach 25 Jahren erstmals im Kino zu sehen: Opening Night von John Cassavetes
: Eine Art schlechtes Gewissen

Es ist sein vielleicht programmatischster Film. Und er kommt mit 25-jähiger Verspätung in die hiesigen Kinos. John Cassavetes‘ Opening Night, der 1977 in den USA mit nur einer einzigen Kopie startete und im selben Jahr die Berlinale eröffnete, ist jetzt erstmals in Deutschland auf regulären Leinwänden zu sehen. Das ist unglaublich und passt doch zur eigentümlichen Rezeption der Filme Cassavetes‘, die sich selten anders als mit wortkarger Ehrfurcht oder irritiertem Schweigen geäußert hat.

Nicht einmal Robert Kolker widmet in seinem Buch über die Filmemacher des New Hollywood Allein im Licht John Cassavetes mehr als ein paar Zeilen, obschon er zugibt, dass der New Yorker Regisseur als Erster „einige Dinge erkannt hat, die im amerikanischen Film als Antwort auf die Nouvelle Vague verändert werden konnten“. Doch vor dessen mikroskopischen Charakterbeobachtungen kapituliert seine Filmanalyse. Weil die Filme Altmans oder Scorseses, denen sich der Filmwissenschaftler in jeweils 100 Seiten umfassenden Kapiteln widmet, ohne den Einfluss von Cassavetes anders aussähen, „möge er“, so Kolker einleitend, „als eine Art schlechtes Gewissen über dem lauern, was hier geschrieben steht“.

17 Jahre nach seinem Debüt Shadows und drei Jahre vor Gloria thematisierte Cassavetes in Opening Night eindringlich das eigene Verfahren. Ben Gazarra spielt darin einen Theaterregisseur, dem die Umsetzung eines Stücks der Autorin Sarah Goode (Joan Blondell) zu entgleiten droht. Die Konflikte seiner Hauptdarstellerin Myrtle Gordon (Gina Rowlands) mit ihrer Rolle machen die Proben für alle Beteiligten zur Tortur: Sie soll eine alternde, kinderlose Frau spielen, die an den verpassten Chancen ihres Lebens zu zerbrechen droht. Die Rolle ihres Ehemannes auf der Bühne und Ex-Liebhabers in der fiktiven Handlung des Films hat Cassavetes selbst übernommen. Gastauftritte von Peter Falk, Seymour Cassel und Peter Bogdanovich machen den Film zu einer beeindruckenden Parade der Filmfamilie, mit der sich das Paar Rowlands-Cassavetes über Jahrzehnte umgeben hat.

Im Zentrum der Konflikte des Films stehen Fragen von Method Acting und Improvisation, wie sie Cassavetes‘ Arbeit stets begleitet haben. Die Art und Weise, wie beides hier verhandelt wird, eröffnet zwei interessante neue Perspektiven auf sein Werk. Mit Vehemenz nämlich wehrt sich die Filmdiva Myrtle Gordon in Opening Night dagegen, sich als realer Mensch so zu begreifen, wie es die Autorin des Stücks vorgibt: Am Altern zu verzweifeln, dafür sieht sie in ihrem wirklichen Leben keinen Anlass. Auch wenn er die Persönlichkeiten seiner Schauspieler immer exploitiert hat für seine Filme, war sich Cassavetes der Gewalt offenbar bewusst, mit der die Forderung nach identifikatorischem Spiel auf die Selbstwahrnehmung der Schauspieler zurückwirkt. Diejenigen, die Cassavetes seit A Woman Under the Influence der Frauenfeindlichkeit bezichtigen, müssten diese Selbstreflexion zumindest wohlwollend in Rechnung stellen.

Das zweite wichtige Statement des Films betrifft die Improvisation. Die Szene, in der sich bei der titelgebenden Premiere des Stücks in New York die von Rowlands und Cassavetes verkörperten Theaterdarsteller improvisierend freispielen von ihren vorgegebenen Rollen, inszeniert der Film als schäbige Burleske. Wenn er also, so scheint uns Cassavetes sagen zu wollen, die Schauspieler in seinen Filmen tatsächlich so stark improvisieren ließe, wie es ihm immer nachgesagt wird, hätte es keiner seiner Filme zu einer irgendwie gearteten formalen Stringenz gebracht. Und das ist ja nun ein unbestrittenes Qualitätsmerkmal seiner Filme.

Christiane Müller-Lobeck

12., 14.+18.2., 21.15 Uhr, 13.+15.2., 19 Uhr, 17.2., 17 Uhr, Metropolis