harald fricke über Märkte
: Enter-, Info-, Attacktainment

Aus der Stereoanlage quillt nicht „Aida“, und die Sitcom wird weggezappt. Stattdessen gibt es Bush und Krieg

Der Winter ist zurück, die taz hat sich einen Schal ums Haus gebunden. 20 Meter lang, in den Regenbogenfarben der Friedensbewegung mit „Pace“-Aufschrift, hängt seit vorgestern eine Fahne vom Dach, die hinunter bis zum ersten Stock reicht. Damit ist die Zeitung gut eingebettet zwischen Checkpoint Charlie und den Bellizisten von der B.Z.

Ja, es gibt hierzulande einiges zu tun für eine gewaltfreie Lösung des Irakkriegs. De-mon-strie-ren, boy-kot-tie-ren, so-li-da-ri-sie-ren, mit-mar-sch …, nein, das wäre schlecht. Unterdessen wackeln die Bilder von der Front nicht mehr, sondern werden zum gut formatierten Medienalltag. Wenn ich abends noch manchmal durch die Kanäle patrouilliere oder in die Pressekonferenzen auf BBC oder Phoenix zappe, sind mir die müde hängenden Bassetaugen von Brigadegeneral Brooks schon vertraut wie eine Sitcom, so wie der Schmierbauch von Kevin James in der RTLII-Comedy „King of Queens“. Na gut, der Vergleich hinkt, ich gucke sonst gar keine Sitcoms. Aber normalerweise schaue ich auch nicht dauernd Krieg.

Bei CNN sind derweil Berichterstattungsprofis am Werk, die den Irak gerade fachgerecht in Schwerpunkte zerlegen. Dort wird plötzlich unentwegt zum „Assault on Baghdad“ geschaltet, weil der Sender sich vom Geschehen in der Stadt die derzeit höchste News-Dichte verspricht. Dann müssen die anderen Kriegshandlungen in der Wüste, im Norden, auf den Ölfeldern oder in Basra ein wenig zurückstehen, diese Infos können warten – jetzt, wo doch schon das Finale läuft, muss man nicht mehr allzu sehr auf die Abschlussergebnisse der Vorrundenspiele achten.

Am meisten habe ich allerdings bei Promarkt in der CD-Abteilung gestaunt. Dort gibt es eine Wand mit den Top-Ten der aktuellen Charts. Shakira, Deutschland sucht den Superstar, die neue Platte vom Zaubergeiger André Rieu, irgendwelche Schlager. Mittendrin: George W. Bush auf dem Cover einer Veröffentlichung der Deutschen Grammophon. Im Hintergrund sieht man das Stars-’n’-Stripes-Banner, am unteren Rand hat der Spiegel sich mit seinem Logo eingeklinkt. Hat der Krieg jetzt auch das Klassik-Segment der Musikindustrie erreicht? Gibt es neben Enter-, Edu- und Info- neuerdings auch Attacktainment?

Es ist ein Hörbuch. Auf drei CDs wird Bob Woodwards White-House-Recherche über „Bush At War“ vorgetragen, der Sprecher ist Hannes Hellmann, der bei Dieter Wedels „Der König von St. Pauli“ mitgespielt hat und ein paar Mal im „Tatort“ zu sehen war. Jetzt erzählt der Serienmime mit sonorer Baritonstimme, wie alles anfing, wie der 11. September zum „War On Terrorism“ führte und wie daraus der Krieg im Irak wurde. Der Ritt durch die Geschichte dauert 220 Minuten, eine Stunde länger als Giuseppe Verdis „Aida“ in der DVD-Fassung mit Placido Domingo.

Im Gegensatz zur Oper um Orient und Eroberung wird sich niemand in ein, zwei Jahren noch das Zeitzeugnis made in USA anhören. Schon jetzt kommen mir Zweifel bei dem Gedanken daran, wie abends Leute vor ihrer Stereoanlage sitzen und die CD einlegen. Das Licht runtergedimmt, dazu eine Flasche Wein – und aus den Lautsprechern klingt kein Crescendo der Geigen und nicht die geschmeidige Koloratur einer Montserrat Caballé, sondern sprödester Bush-Speak in Übersetzung: „Wir kommen nach Irak mit Respekt für seine Bürger, für seine große Zivilisation und für die Glaubensbekenntnisse, die sie praktizieren. Wir haben kein Ziel in Irak, außer eine Bedrohung zu beseitigen und die Kontrolle dieses Landes durch sein eigenes Volk wieder herzustellen.“

Vor einiger Zeit noch hatte Bush nichts zu sagen. Damals hat die taz zu seiner angeblich historischen Rede vor dem Deutschen Bundestag viel Weißraum auf der Seite 1 gelassen – so aussagekräftig erschien das Geschwätz des Mannes aus Texas, der seine Ansprache mit „Herr Kohl, wie geht es Ihnen?“ begann, um irgendwann auf den Afghanistan-Einsatz und die weiter existierenden Feinde zu kommen, die „im Namen einer falschen religiösen Reinheit töten“ – als gäbe es eine richtige Reinheit im Glauben, der doch immer Auslegungssache ist.

Vielleicht hat Bush rhetorisch tatsächlich mächtig zugelegt seit dem 24. Mai 2002. Vielleicht hat sich das Gewicht der Geschichte aber auch vollends auf seine Seite verlagert. Die Welt lauscht gebannt, was der Präsident der letzten verbliebenen Supermacht so fühlte und dachte, bevor er 250.000 Soldaten an den Golf geschickt hat.

Es wäre sicher auch interessant, könnte man hören, was in den arabischen Ländern in den langen Monaten vor dem Irakkrieg gesprochen wurde. Doch die Stimmen aus dem Orient bleiben selbst jetzt noch ein bloß vielstimmiges Gemurre. Eine CD-Box als Talking-Hit wird daraus bestimmt nicht.

Fragen zu Oper und Orient?kolumne@taz.de