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Ortstermin: Alice Cooper und „Whitesnake“ in HamburgDie Hüftgold-Variationen

Ohrstöpsel gibt es an der Garderobe, das Paar für einen Euro. Das ist an diesem Abend breit auf jeder Säule plakatiert. Man wird die Ohrstöpsel wiedertreffen, unten, im Innenraum der Hamburger Sporthalle. Keilförmig werden sie aus etlichen Ohren herausragen, Ohren, um die herum das Haar grau und licht ist. Oft, aber nicht immer.

Höchst erstaunlich ist, dass die Männer auf der Bühne nicht auch Ohrstöpsel tragen, wo sie doch zu den ältesten hier im Saal gehören. Aber sie wissen, dass Ohrstöpsel unsexy sind. Genau genommen sind Ohrstöpsel das unsexyeste, was man sich vorstellen kann. Die Männer auf der Bühne wissen das, denn ihr Sexappeal war mal eine Schlüsselqualifikation für ihren Beruf. Die Männer waren mal Rockstars.

Aber das ist lange her. Nun wäre nichts einfacher, als sich über die qua Alter deformierten Musiker von „Whitesnake“ und Alice Cooper lustig zu machen. Man könnte das Hüftgold von Whitesnake-Sänger David Coverdale, 57, beschreiben. Oder die Zähne von Alice Cooper, 60: Zähne, die farblich betrachtet weißer sind als weiß. Alles das ist offensichtlich und trägt eine gewisse Melancholie in sich. Trotzdem ist es schwer vorstellbar, an einem Dienstagabend im November etwas erbaulicheres zu erleben, als ein Whitesnake-Alice Cooper-Kombikonzert in einer Mehrzweckhalle am Rande der Innenstadt.

Warum? Weil sich zeigt, dass es auch für Rockstars im Alter eine Perspektive gibt. Whitesnake überleben durch die Tontechnik, durch NDR 2 und durch ihre alten Fans. Die Technik macht, dass David Coverdale noch kreischen kann. NDR 2 macht, dass der Hit „Here I go again“ von 1982 auch 2008 aktuell wirkt. Die alten Fans schließlich machen, dass nicht nur der Hit, sondern auch drei, vier andere Songs und diverse Gitarren-Soli bejubelt werden.

Ein anderes Kaliber ist da Alice Cooper, ganz klar und völlig zu recht der Hauptact an diesem Abend. Wie er als dunkler Fürst mit Frack und Gehstock über das Bühnengeschehen gebietet, wie er sich von leicht bekleideten Asiatinnen mit Plastik-Maschinengewehren abschießen lässt, das hat Gesicht. Cooper macht wie gehabt Horror-Trash mit Kunstblut, Zwangsjacke, geköpfter Ballerina, Kindsmord und Galgen. Da ist vieles drin, vom Comic über das Varieté bis zur Burleske, und am Schluss gibt’s auch noch die beiden wirklich großen Songs „School’s Out“ und „Poison“ und das Ü-30-Publikum ist stolz, dass es sich nach Monaten mal wieder nach 23 Uhr in der Öffentlichkeit aufhält.

Cooper und Whitesnake, das führt zu neuen Konstellationen im Publikum. Da ist die Frau um die 40, lange glatte Haare, eng geschnittene, leicht linksalternative Weste. Daneben ein Mädchen, vielleicht 16, bauchfrei. Sie gehören zusammen, müssen Mutter und Tochter sein. Die Mutter tanzt zu Whitesnake, schüttelt ihr Haar, während die Tochter daneben steht und Kaugummi kaut.

Offensichtlich begleitet hier die Tochter die Mutter zum Konzert, nicht umgekehrt. „Biggi“, wird die Mutter gesagt haben, „gehst Du mit mir aufs Whitesnake-Konzert?“ – „Whitesnake, was ist das denn?“ – „Das habe ich gehört, als ich so alt war wie du. Wollen wir da nicht zusammen hingehen?“ – „Muss das sein?“ – „Ach komm, Biggi!“ – „Aber ich hab’ doch heute schon den Müll rausgebracht!“ – „Biggi, bitte. Ich war so lange nicht mehr auf einem Konzert.“ – „Kannst Du nicht Papa fragen?“ Ja, so wird man sich das vorstellen müssen.

Da stehen sie nun, und der Punkt ist, dass die Tochter auch noch grooven wird. Und zwar bei Alice Cooper. Denn der hat – im Gegensatz zu Whitesnake – eine Verbindung zur Gegenwart und die heißt Marilyn Manson. Der wiederum läuft nämlich mit kunstfertigen Videos auf MTV und schockt seine amerikanischen Mitbürger mit Würmern, Blut und undefinierter Geschlechtszugehörigkeit. Als Kunstfigur verhält sich Manson zu Cooper wie ein Notebook zu einem C-64: Er ist deutlich ausgereifter. Aber ohne den einen wäre der andere nie möglich gewesen. KLAUS IRLER

Whitesnake und Alice Cooper treten heute um 19.30 Uhr in der AWD-Arena in Hannover auf

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