amerika im krieg (16)
: Ein Tagebuch unseres USA-Korrespondenten Michael Streck

Das Unbehagen in der Mount Pleasant Road

„Was weiß ich schon, ob dieser Krieg gerechtfertigt ist“, sagt die kleine energische Frau aus El Salvador. „Die können uns doch alles erzählen. Ich hoffe nur, dass das Töten bald ein Ende hat.“ Maria Rios sortiert Hemden in ihrem Laden names „El West“. Schuhe türmen sich zu Pyramiden, dazwischen stapeln sich Jeans und mexikanische Hüte. Es riecht nach neuem Leder, irgendwo plätschert ein Zimmerspringbrunnen. Maria Rios Geschäft liegt auf der „Mt. Pleasent Road“ in Washington, die fest in der Hand lateinamerikanischer Händler ist.

Die einen Kilometer lange Straße im aufstrebenden Nordwesten der US-Hauptstadt ist gesäumt von kleinen Supermärkten, Friseursalons und Restaurants, die „Dos Gringos“ oder „Casa Blanca“ heißen. In den wenigen mehrstöckigen Wohnhäusern leben dicht gedrängt Wanderarbeiter aus Honduras oder Guatemala in engen Apartments. Früh am Morgen stehen sie auf der Straße und warten auf Gelegenheitsjobs. Viele Jahre war sie das Herz eines hispanischen Einwanderer-Wohnviertels, an der Grenze zu den Schwarzenghettos, die die Weißen „no-go area“ nennen. Doch dann kamen Studenten, Künstler und nun eine wohlhabende Mittelschicht. Sie haben die Latinos fast vollständig verdrängt, nur in der „Mt. Pleasent Road“ halten sie sich hartnäckig. So ist sie fast wie ein Potemkin’sches Dorf, eine bunte lateinamerikanische Fassade ohne Hinterland. Mit ihren großen Jeeps oder Pick-up-Trucks kommen sie immer noch zum Einkaufen hierher. Die Stimmung in vielen Ländern Lateinamerikas gegenüber den USA ist schlecht. Man ist enttäuscht vom übermächtigen Nachbarn, dessen Präsident versprochen hatte, die Beziehungen zum Rest des Kontinents zu pflegen und nun doch vorgezogen hat, in den Krieg zu ziehen und alles, was sich südlich von Texas befindet, links liegen zu lassen.

Doch wie verorten sich die hier lebenden Einwanderer? „Ich mag diesen Krieg nicht“, sagen zwei junge Frauen hinter der Glasscheibe der Wechselstube fast im Chor. So viele Unschuldige würden sterben. „Wofür?“ Die beiden stammen aus Honduras und sind mit ihren Eltern vor drei Jahren nach Washington gekommen. Auch ihre Freundinnen wären gegen den Krieg.

Der Verkäufer im Schreibwarenladen „Distributor El Salvador“ spricht gebrochen Englisch, obwohl er schon seit 20 Jahren hier lebt. „Für mich geht der Krieg in Ordnung“, sagt er. Der 11. September habe die USA verändert und er könne verstehen, dass die Amerikaner Saddam stürzen wollten. Viele Einwanderer würden sich jedoch nicht um den Krieg kümmern. Für sie ginge es ums Überleben. Jose Chavez dagegen ist studierter Betriebswirt. Der 55 Jahre alte Mexikaner arbeitet in der spanischen Botschaft und macht Mittagspause. Für ihn ist Bush ein Demagoge und Amerika engstirniger geworden. „Ich fühle mich hier nicht mehr wohl. Noch zwei Jahre, und dann gehe ich zurück.“