PISA im Schminkraum

Das Umweltmusical der Gesamtschule Harburg zeigt schulische Leistung abseits von Lehrplänen. 180 DarstellerInnen aller Jahrgänge treten nun in Harburg und beim Kirchentag in Berlin öffentlich auf

von ANNE HANSEN

Susanne Heydemann läuft hin und her. Rein in den Raum und raus auf den Flur. Den nächsten Namen aufrufen und wieder rein in den Raum. Das Schild muss sie an die Tür gemalt haben, als es weniger hektisch war: „Schminkraum: Frösche, Unken, Grillen“. Eigentlich ist Susanne Heydemann Hausfrau. Heute ist sie Maskenbildnerin.

Susanne Heydemann ist eine von insgesamt 35 Elternteilen, die beim Schulmusical „Terranon“ mitmachen. Hinzu kommen rund 30 LehrerInnen sowie die SchauspielerInnen und MusikerInnen des Orchesters: Insgesamt 180 SchülerInnen. Die 41-Jährige wird euphorisch, wenn sie über ihr Engegament beim Musical spricht. Sie ist froh, mit Kindern zu arbeiten, die sich engagieren und „nicht schon andere Dinge im Kopf haben“. Und die Arbeit mache ihr einfach Spaß. Sie lacht. Ihre Tochter ist auch dabei. „Lisa ist zwölf und ein Glühwürmchen“, sagt die Mutter stolz. Jetzt muss sie wieder schminken. Die Grillen sind dran.

Martin von Borstel ist mit dem Schminken schon fertig. Er ist 16 Jahre alt, geht in die zehnte Klasse und ist Frosch. Seinen ersten Auftritt hatte er schon, nun macht er kurz Pause, bevor er wieder auf die Bühne muss. Wenn er auf den Brettern steht, spricht, singt und tanzt, dann wirkt er überzeugend. In der Pause erzählt er, dass er seine Rolle mag und es toll findet, dass sich alle so gut verstehen. „Crew“ nennt er alle Beteiligten. Der 16-Jährige wirkt professionell, wenn er davon erzählt, wie er beim Casting mitgemacht hat, dass bei der Generalprobe am Vortag alles schief gegangen sei, die „Pausenabschlüsse“ ungenügend waren und „der Bühnenumbau fast zwei Minuten gedauert hat“.

Heute findet er die Aufführung aber „okay“. Nur wenn Martin von Borstel gefragt wird, ob er noch aufgeregt sei, wird er wieder zum 16-jährigen Jungen, der eigentlich Anwalt werden will. „Jede Aufführung ist anders. Und jeder will schließlich alles immer besser machen.“

Wenn er aber an Berlin denkt, ist er ein wenig nervös. Dort wird das Musical anlässlich des Kirchentages in Berlin mehrmals aufgeführt. „Anspruchsvolles Publikum, große Bühne, alles unbekannt. Da muss man sich dann doppelt und dreifach anstrengen.“ Angestrengt sind sie hier in der Friedrich-Ebert-Halle in Harburg bereits alle.

Die SchauspielerInnen sind leise, wenn sie gerade nicht auf der Bühne sind, sitzen auf der Treppe, laufen in den Gängen umher und flüstern: „Und? Wie war es?“, wenn jemand seinen Auftritt hatte. Die Eltern zupfen an den Kostümen, prüfen, ob alles hält, und die LehrerInnen stehen staunend am Rand.

Thomas Lehnhardt unterrichtet Deutsch und hat die Texte für „Terranon“ geschrieben. „Es ist wirklich unglaublich, mit welcher Begeisterung und Ernsthaftigkeit die Kinder an die Sache rangehen“, sagt er. „Man stelle sich vor, das sind PISA-Kinder“, fügt er lachend hinzu und wird von „PISA-Kindern“, die als Maulwürfen verkleidet sind, fast umgerannt.

Für Lehnhardt ist „Terranon“ nicht nur ein Muscial, sondern etwas, das zusammenhält, motiviert sowie leistungsschwache SchülerInnen fördert. „Mathebücher können so etwas nicht schaffen.“ Er selbst hat die Texte in seiner Freizeit geschrieben. An Wochenenden, in den Sommerferien und einfach mal, „wenn kurz Zeit war“. Seine Familie fühle sich aber nicht vernachlässigt. „Meine Frau hat mit den Mädchen die Tänze einstudiert“, so Lehnhardt. „Obwohl sie nicht an dieser Schule ist“, fügt er hinzu.

Am Ende der zweistündigen Aufführung stehen alle SchauspielerInnen auf der Bühne, das Publikum zeigt sich begeistert, und nur Burkhard Kunoth aus dem Elternbeirat kann die „Terranon-Idylle“ trüben. Er spricht von dem „sinnlosen Arbeitszeitmodell“, das so ein Projekt in Zukunft nicht mehr möglich machen, aber dennoch vom Hamburger Senat derzeit diskutiert wird.

Jeder würde dann nur noch das Nötige machen, die LehrerInnen würden ihren Unterricht halten und sich darüber hinaus kaum weiter engagieren. Während Kunoth spricht und sich aufregt, verbeugt sich Musiklehrer Peter Schuldt auf der Bühne und leitet den Applaus weiter an die SchauspielerInnen. „Für euch“, sagt er. Die „PISA-Kinder“ strahlen.