: Grundschule von Schach bis Arabisch
„Kreativitätsschulen“ sind Schulen, in denen Kinder gern und viel lernen. Bremer CDU-Bildungspolitiker besuchten das Zentrum der Reformbewegung in Leipzig und waren sehr angetan von den kleinen Klassen und dem Ganztagsangebot. Zwei Lehrer sind dort für zwanzig Kinder da
taz ■ Müssen Schulpolitiker nach Finnland fahren oder nach Bayern, um sich die erfolgreiche Schule anzusehen? Darüber zerstreiten sich SPD und CDU gewöhnlich. Diese Woche ist eine Delegation der CDU zusammen mit Rainer Köttgen, dem Staatsrat des SPD-Bildungssenators Willi Lemke, nach Leipzig gefahren – ganz ohne Streit. Denn in Leipzig gibt es „Kreativitätsschulen“, und davon waren beide Seiten dann gleichermaßen beeindruckt. „Wir können davon viel lernen“, sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Eckhoff nach dem Besuch. Denn da wird von dem DDR-Professorenehepaar Gerlinde und Hans-Georg Mehlhorn ganz unideologisch vorgeführt, wie Schule erfolgreich anders sein könnte.
Die Philosophie der „Kreativitätsschulen“: Alle Kinder haben weitaus mehr Begabungen als unser Schulsystem hervorkitzelt und fördert. Die Erkenntnis der Begabungsforscher Mehlhorn: „Die Vorschul- und Grundschulzeit ist lebensentscheidend.“
Nach diesem schlichten Grundsatz organisieren die Mehlhorns in den neuen Bundesländern unter dem Titel „Kreativschule“ mehrere Modellschulen. Ihre Erfolgsmeldung: Praktisch alle Kinder bekommen am Ende der Grundschulzeit eine Gymnasial-Empfehlung, ein guter Teil schafft in den Tests die Einstufung als „hochbegabt“. Ein „Kreativitäts-Gymnasium“ ist bereits im Aufbau.
Dabei sind es völlig normale und durchschnittliche Kinder, die in den Mehlhornschulen anfangen. Ihr Lieblingsfach sei Tanz, sagt ein 9-jähriges Mädchen, „doof“ sei Computer. Ihre Freundin findet Flöte und Mathe gut. Nebenan spielt eine Klasse Schach. Eine Frau aus dem Irak unterrichtet die Grundschulkinder in Arabisch.
Das sind unsere „Kreativfächer“, sagt Hans-Georg Mehlhorn stolz. Jeder Schüler lernt ein Musikinstrument, es gibt alle Formen künstlerischer Aktivität, Schach, Theater, Sport, für alle in der Grundschule Englisch, Französisch und Arabisch. Und das Lernen macht den Kindern sichtlich Spaß. Kein Wunder: Die Räume sind hell und freundlich, jede Klasse hat neben dem Unterrichtsraum einen „Freizeitraum“, in dem Matrazen, Spielsachen und Tische stehen. Die Kinder laufen in Puschen herum: hier sind sie zu Hause. Und keine Klasse hat mehr als 20 Kinder, für jede Unterrichtsstunde gibt es zwei Lehrer.
„Wenn zwei Lehrkräfte im Klassenraum sind, ist sofort alles transparent“, staunt der Bremer Bildungsstaatsrat. Pädagogen sind keine Einzelkämpfer hinter verschlossenen Türen, sondern sie sind es gewohnt, dass sie sich über ihre Arbeit austauschen. Und jederzeit kann eine Klasse in zwei Gruppen von acht oder zehn Kindern aufgeteilt werden.
In der Kreativ-Schule werden ab der ersten Klasse Kleingruppen nach Leistungsvermögen gebildet. Niemand wird unterfordert, jeder wird gefördert, niemand bleibt sitzen.
Der Leipziger Schulleiter Andreas Wilde war vorher Leiter eines Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Elitegymnasiums in Leipzig. Er wollte aber nicht mehr 90 Prozent der Kinder „als zu wenig begabt“ abweisen, sondern die Begabungen aufspüren, solange es noch Zeit dafür ist, begründet Wilde seinen Wechsel an die private Kreativitäts-Schule.
Dass die Schüler hier bis 16 Uhr in der Schule beschäftigt sind und auch danach bleiben können, wenn sie wollen, versteht sich. Und in den Ferien kommen Kunstpädagogikstudenten und organisieren Ferien-Projekte. Klar: Die meisten Schüler können in dieser Schule sehr viel mehr Anregungen bekommen als Eltern bieten könnten. „Und Kinder brauchen Anregungen“, sagt Gerlinde Mehlhorn. Die Vorstellung, dass man Kindern Anregungen erst dann bieten sollte, wenn sie „von selbst“ danach verlangen, sei der große Fehler der Waldorf-Pädagogik.
Und warum Arabisch? „Die Alternative war Chinesisch“, sagt Reformschul-Gründer Mehlhorn.
Auf jeden Fall eine Sprache, die das Kinder-Gehirn ganz anders fordert als die romanischen Sprachen: Von rechts nach links und mit eigenen Schriftzeichen und eigener Grammatik. Die Kindern lernen, diese krummen Linien mit Punkten genauso zu entschlüsseln und die entsprechenden Laute zu finden wie die Bedeutung von Notenstrichen. Englisch lerne man „sowieso“, sagt Mehlhorn, aber arabisch lerne man als Erwachsener nicht mehr – das ist für diese kleinen Menschen die letzte Chance.
Und was kostet diese Schule der Zukunft? 500 Euro hat die Schul-GmbH pro Schüler im Monat zur Verfügung, sagt Mehlhorn, 250 Euro geben die Eltern, 250 das Bildungs- und das Sozialministerium (als Hort-Zuschuss). Nicht mehr also, als der Staat für seine Schulen und Hortplätze ausgibt. „Das ist das Reizvolle an dieser Schule“, sagt der CDU-Mann Eckhoff, dass sie nicht teuerer sei als staatliche Systeme, „leider werden wir diesen wünschenswerten Zustand an staatlichen Schulen in absehbarer Zeit nicht herstellen können“. Aber immerhin gebe es Eltern, die in Bremen vielleicht eine private „Kreativitätsschule“ nach dem Leipziger Vorbild gründen wollen. Dies will die CDU unterstützen.
Klaus WolschnerInfos: www.mehlhornschulen.de
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