Wird Wasser zu Trollinger?

Deutschland trainiert für Olympia (Teil 6): Stuttgart hat zwar Daimler, Porsche, Bosch sowie Spätzle mit Soß, dass es auch noch die Oympischen Spiele hinzubekommt, glaubt es allerdings selbscht net

aus Stuttgart MATTHIAS HOHNECKER

Sie standen herum wie die Drei von der Tankstelle. Und sie guckten nicht nur so, als hätten sie Diesel statt Super getankt – sie guckten so, als hätte ihnen jemand auch noch Zucker in den Tank geschüttet. Platz fünf in der Evaluierung des Nationalen Olympischen Komitees (NOK). Schlusslicht Stuttgart. Die Olympiakarre, abgesoffen schon vier Wochen vor dem Warmstart? „Nein“, sagte der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster in der Pressekonferenz nach der Evaluierung. „Nein“, sagte Raimund Gründler, der Chef der Olympia GmbH. „Nein“, sagte der Pressesprecher Jörg Klopfer. Und dann guckten sie so, als hätte ihnen jemand das Benzingeld geklaut.

Dann aber: Steh auf, wenn du ein Schwabe bischt. Etwas in der Art müssen sich die drei von der Olympiastelle in einer Aufwallung der Kampfeslust da gesagt haben. „Jetzt erscht recht“, flüsterten die drei dann überhörbar, aber mit einer Stimme. Und genauso einstimmig, wie die Worte damals aus ihren Mündern tröpfelten, so unisono war die Körpersprache von Schuster, Gründler und Klopfer. Die Schultern hingen, die Mundwinkel hingen, die Krawatten hingen – alles auf Halbmast in der Stadt, die einmal jemand die Stadt zwischen Hängen und Würgen nannte.

Wenn, ja, wenn da nicht der gottesfürchtige Katholik und Ministerpräsident Erwin Teufel gewesen wäre, der die zerknautschten Olympiamacher getröstet hätte mit ein paar Worten aus der Bibel. „Die Letzten werden am 12. April in München die Ersten sein“, sagte der Mann mit einem Lächeln im Gesicht, als könne er Wasser zu Trollinger verwandeln und den lahmenden Olympiern das Gehen wieder schenken. Die Letzten also werden die Ersten sein, tirilierte Teufel. Und heimlich sagte jemand aus dem Olympiatross: „Die Letzten schon. Aber die Allerletzten?“

Wahrscheinlich ist dies das Hauptproblem der Stuttgarter Olympiabewerbung: dass keiner wirklich an Olympische Spiele in der Stadt von DaimlerChrysler, Porsche, Bosch und Spätzle mit Soß glaubt. So kreuzbrav, so bieder, so strotzend vor pietistischer Selbstbeschränkung kommen die Schwaben in ihrer Bewerbung daher, dass der Tübinger Soziologe Helmut Digel, Ehrenpräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, den „schwäbischen Minderwertigkeitskomplex“ als größtes Problem der Stuttgarter Bewerbung ausgemacht hat – und das schon vor zwei Jahren.

Bösartige Menschen im Großraum spitzen deshalb schon jetzt ihre Münder, um der Olympia GmbH vom 13. April an ihre Fehler zu flüstern – durch die Flüstertüten der Medien. Da werden Redaktionsbesuche bei Stuttgarter Zeitungen mit der Begründung verschoben, man komme lieber nach der Niederlage von München – und packe dann richtig aus. Da werden hinter vorgehaltener Hand Mitglieder aus der Evaluierungskommission zitiert, die sich darüber beschwert hätten, dass „die Hotelzimmer beim Bewertungsbesuch in Stuttgart gerade mal die Größe hatten wie die Toiletten in den Hamburger Hotels“. Und selbst in der NOK-Spitze ist man inzwischen davon genervt, dass Schuster immer noch das Hohe Lied von der Sporthauptstadt Stuttgart singe und dass die Leichtathletik-WM 1993 „doch so schön gwesa ischt“.

Weil die Stuttgarter mit ihrer Vergangenheitsbewältigung also offenbar nicht rechtzeitig fertig geworden sind, werden sie womöglich noch ein paar Jahre länger von der Unesco-Fair-Play-Trophäe schwärmen müssen, die sie 1993 bekommen haben. Man setzt im Schwabenland halt nicht „aufs Schaumschlagen“, wie Raimund Gründler die gezielte, vielleicht manchmal etwas anrüchige, aber womöglich Gewinn bringende Lobbyarbeit direkt am Wahlvolk nennt – man setzt auf Gediegenheit. „Stuttgart wird als der bravste Verlierer in die Geschichte der Olympiabewerbung eingehen“, sagt einer, der nicht genannt werden möchte.

Raimund Gründler hingegen wäre Gerüchten zufolge seinen Job auch bei einem Sieg Stuttgarts los. Dann nämlich solle die schwäbische Allzweckwaffe Lothar Späth den Laden schmeißen. „Wir fahren am 12. April mit einem klaren Ziel nach München: Wir wollen gewinnen“, sagt Gründler dennoch tapfer. Bestärkt fühlt sich der 39-Jährige durch die Rückmeldungen aus den 32 Sportverbänden – und auch durch den Spiegel, der den Stuttgartern bestätigte: „Aus der eher biederen Maultaschen-Bewerbung ist, trotz der schlechten Benotung, ein ernsthafter Siegeskandidat geworden.“ Auch, weil durch die Olympiabewerbung laut Gründler der eh schon donnerhallende Ruf der Neckar-Sportstadt mit einigen Großveranstaltungen noch mal aufpoliert worden sei. Er denkt da wohl an so epochemachende Events wie den Europacup im Mountainbiken oder den Weltcup im Modernen Fünfkampf.

Maultaschen hin, Rostbraten her: Ob den Wahlberechtigten die Stuttgarter Präsentation schmecken wird, da haben selbst die Schwaben ihre Zweifel. Da nämlich müsse wieder der, sachte formuliert, sehr bedächtige OB ran. Und Wolfgang Schuster ist in die Stadtgeschichte bisher eher durch seine Kehrwochenorgie „Let’s putz“ eingegangen als durch mitreißende, verhaspelungsfreie Reden. Vieles deutet darauf hin, dass die schwäbischen Bruddler Recht behalten – und Stuttgart brav verliert. Auch wenn der Ministerpräsident weiter jubelt: „Mein Herz sagt mir: der Beste soll gewinnen. Und mein Verstand sagt mir, dass wir deshalb eine gute Chance haben.“ Vielleicht nicht für 2012, wie Kabarettist Christoph Sonntag glaubt: „Wenn es mit Olympia 2012 nicht klappt, schaffen wir’s halt mit Olympia 12002.“