Schlendern übern Markt

Trotz der Messerattacke gegen Hamburgs Justizsenator Kusch:Nordländer setzen bei der Sicherheit ihrer Politiker eher auf Entspannung

Bremen / Hamburg / Hannover / Kiel taz ■ Es hat schon etwas Merkwürdiges, dass Hamburgs Justizsenator Roger Kusch (CDU) ohne Personenschützer unterwegs war, als er gestern früh bei einem Wahlkampfauftritt auf einem Wochenmarkt der Hansestadt von einer Frau mit einem Messer attackiert und leicht verletzt wurde (Bericht SEITE 6). Denn die Sicherheitsvorkehrungen gerade um führende Regierungsvertreter wie Kusch oder Bürgermeister Ole von Beust (CDU) sind unter dem Rechts-Senat massiv verstärkt worden. Besonders der ehemalige Innensenator Ronald Schill war ohne brachialen Begleitschutz nicht denkbar.

Wer Plenarsitzungen im Rathaus verfolgen will, muss sich mittlerweile regelmäßigen Kontrollen unterziehen. Für die Berichterstatter wurden dazu von der Bürgerschaftskanzlei Akkreditierungsausweise eingeführt: Selbst langjährige Rathausreporter müssen seitdem teilweise peinlich genaue Überprüfungen über sich ergehen lassen.

Auch die Flure zu den Fraktionsbüros der Rechts-Koalition im Hamburger Rathaus wurden mit einem Sicherungssystem ausgestattet. Und als im vergangenen Sommer ein feierliches Gelöbnis der Bundeswehr auf dem Rathausmarkt abgehalten wurde, wurde die Innenstadt rund ums Parlament zum Hochsicherheitstrakt umfunktioniert. Kritik der Opposition, der Senat schotte sich vor seinen Bürgern ab, ließ die Rechtsparteien unbeeindruckt.

Die Abschottung der Politiker durch Sicherheitsprofis ist allerdings kein Privileg der Rechtsparteien. Als Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Mai vergangenen Jahres in der Hamburger Fischauktionshalle der Basis seine Politik der Agenda 2010 zu erklären trachtete, mussten Berichterstatter sogar mitgebrachtes Obst am Eingang abgeben, auch Getränke durften nicht mit zum Presseplatz genommen werden. Offenbar herrschte die Befürchtung, Reporter würden den Kanzler andernfalls mit einer Bierdusche bedenken. Und auch der heutige SPD-Spitzenkandidat fürs Bürgermeisteramt, Thomas Mirow, musste sich damals von Sicherheitsleuten abtasten lassen.

Schleswig-Holstein: Man bleibt beim Bewährten

Die Messer-Attacke von Hamburg hat keine direkten Auswirkungen auf die Arbeit des Schleswig-Holsteinischen Landeskriminalamts (LKA), so dessen Sprecher Matthias Hennig. Zwar werden die LKA-Beamten „Rücksprache mit ihren Hamburger Kollegen halten“, ansonsten aber verlässt man sich in Schleswig-Holstein auf bewährte Mittel.

Dazu gehört das Erstellen einer „Gefährdungsprognose“, so Hennig. Dabei analysieren die Polizisten beinahe täglich, ob bei einem zu schützenden Politiker durch „gewaltbereite Gruppen“ Gefahr droht. Das kann dann der Fall sein, wenn sich der Politiker zu brisanten Themen geäußert hat. Manchmal aber wird der Personenschutz auch von Politikern selbst angefordert – beispielsweise wenn sich ein Minister bedroht fühlt. Es komme aber durchaus auch vor, dass Politiker ohne Personenschutz im Land unterwegs sind – wenn die Lage als „unkritisch“ beurteilt wird.

Bisher war das LKA mit diesen Methoden durchaus erfolgreich. Was laut Hennig auch daran liegt, dass „die Kommunikation zwischen Politik und Personenschützern sehr gut ist“. Der letzte Fall einer Gefahrensituation für eine Politikerin in Schleswig-Holstein liegt schon sieben Jahre zurück. Damals versuchte eine laut Hennig „verwirrte Person“ in die Staatskanzlei zu kommen. Was nicht gelang – das LKA verhaftete den vermeintlichen Attentäter schon am Eingang.

Niedersachsen: Pfeffer und Pfeiffer

Lutz Stratmann (CDU) konnte sich gar nicht dagegen wehren. Nach einer Attacke mit Pfefferspray in einem Kino während der Oldenburger Filmtage und nach einem Angriff wütender Studenten bei einem Besuch an der Universität Braunschweig wird jetzt auch Niedersachsens Wissenschafts- und Kulturminister dezent von zwei Herren in zivil begleitet.

Eigentlich gilt im Land jedoch, dass grundsätzlich nur der Ministerpräsident und der Innenminister ständigen Personenschutz genießen. Schätzt das Landeskriminalamt jedoch nach aktuellen Vorkommnissen eine erhöhte Gefährdungsstufe ein, ordnet es eine zeitlich begrenzte Begleitung durch Polizisten an – wenigstens bei öffentlichen Auftritten der bedrohten Politiker. Auch der Kriminologe Christian Pfeiffer (SPD) hatte in seiner Zeit als Justizminister nach Drohungen Personenschutz erhalten.

Bremen: Lässiges Schnacken statt Gorillas

Im Mini-Bundesland Bremen sieht die politische Elite-Kaste ihre Bedrohungslage relativ entspannt. Man kann Herren und Damen Senatoren tagtäglich lässig über den Markt schlendern, mit Passanten schnacken oder lustig ins Weserstadion marschieren sehen – ohne sonnenbebrillte Gorillas im Schlepptau. Und dass der überaus beliebte Bürgermeister Henning Scherf ohne Bodyguards in seinem Bremen Hof zu halten pflegt – auch in Berlin und sonstwo verzichtet der Mann auf eine staatsmännische Eskorte –, gehört zum Standard-Wissen über den Langen. Das Klischee vom netten Henning von nebenan darf – wie seine Manie für heißes Wasser und sein Umarmungs-Fimmel – in keinem Porträt fehlen.

Dem Vernehmen nach soll Scherf sogar, als neulich am Rande irgendeiner Veranstaltung irgendein herrenloser Koffer in irgendeinem Foyer herumstand, neugierig und aufgekratzt geradewegs darauf losmarschiert sein, ganz nach dem Motto: Lass uns doch mal schauen, was das für ein Koffer ist. Der Bürgermeister des doch relativ überschaubaren Gemeinwesens ist überzeugt: Die Bremer sind seine Bürger, die mögen ihn, die werden ihm schon nichts tun.

Und selbst als im Jahr 2001 ein psychisch kranker junger Mann einen Brandsatz vor den Eingang von Scherfs privater Hausgemeinschaft schleuderte, tat das der Gelassenheit des Regierungschefs offenbar keinen Abbruch. Der Täter habe möglicherweise nicht ihn persönlich gemeint, sondern „nur seine Wut loswerden wollen“, hatte Scherf damals das Geschehen kommentiert. Und seinen bürgernahen Stil nicht geändert. „Das ist eine Grundsatzfrage, die er für sich geklärt hat“, heißt es in Scherfs Umgebung lapidar.Peter Ahrens/Timm Schröder/

Kai Schöneberg/Markus Jox