Die verhüllte Fremdheit

Das Echo der Kolonialgeschichte: In ihrer Ausstellung „Nation Building/Institut du Monde Arabe“ in der Galerie Zwinger geht Bettina Allamoda der Erzeugung von Identität und Fremdheit nach. Im Spiel der Farben, im Faltenwurf und in Ornamenten

VON KRYSTIAN WOZNICKI

In der Blütezeit des französischen Kolonialismus machte G. G. de Clérambault Fotos in Marokko. Der einflussreiche Psychologe war damals gerade dabei, eine langwierige Kriegsverletzung auszukurieren und konnte seinem Hobby deshalb reichlich Zeit widmen. Ganze vier Jahre (1914–1918) verbrachte er damit, immer wieder ein und dasselbe Motiv einzufangen: Menschliche Körper, mit Stoffen umhüllt, ja, von ihnen bis zur Unkenntlichkeit verdeckt. Etwa zur gleichen Zeit waren in Frankreich Postkarten von arabischen Frauen im Umlauf mit Titeln wie „The Colonial Harem“, die in der Art eines Striptease angeordnet waren. Nach und nach entblätterten sich die Modelle und leisteten damit einem kolonialen Blick Vorschub, dem sich Clérambaults Fotos entzogen hatten: Der hinter den Umhängen verborgene Körper versperrte den Einblick und torpedierte gleichzeitig einen Projektionsprozess über das Andere, den wir Orientalismus zu nennen gelernt haben.

Ihren Kristallisationspunkt fanden Clérambaults Fotos in einer Architekturdebatte, die in den 1920er-Jahren an der Pariser École des Beaux-Arts geführt wurde. Ihr lag ein Verständnis der architektonischen Ornamentik als Kleidung zu Grunde, das die Berliner Künstlerin Bettina Allamoda in ihrer Arbeit wiederholt thematisiert hat. Mehr noch: Selbst der Ursprung dieses Zusammenhangs gewinnt bei Allamoda an Aktualität. Schließlich liegt die Kolonialgeschichte ihren aktuellen Arbeiten insofern zu Grunde, als sie das heutige Echo dieser Ära abzutasten suchen.

Gegenstand ihrer jüngsten Arbeit ist das Institut du Monde Arabe (IMA). Das 1987 eröffnete Gebäude war mit dem Anspruch gebaut, die Kultur der arabischen Länder in Frankreich und über dessen Grenzen hinaus zu repräsentieren. Ein hehres Ziel: Immerhin waren es von Libyen bis Kuwait über 20 Nationen, die zu diesem Kreis zählten. Ein hehres Ziel aber auch deshalb, weil die Idee in einer schwierigen Zeit geboren wurde: Glaubte man sich im Zuge des Dekolonisationsprozesses einen Moment lang in einer Entspannungsphase zu befinden, kam es mit der Ölkrise von 1973 zu neuen Spannungen mit den arabischen Nationen.

Das Institut sollte in diesem Klima nichts weniger als Frieden stiften und den Dialog der Kulturen beleben. Als Schnittstelle zwischen Islam und westlicher Zivilisation, knüpfte das von Jean Nouvel, Pierre Soria und Gilbert Lezénés entworfene Vorzeigeobjekt an einen Trend der Nachkriegsära an, der nicht zuletzt mit dem Pariser Unesco-Sitz eingeläutet wurde – als Gemeinschaftsarbeit eines amerikanischen, eines italienischen und eines französischen Architekten galt dieser Baukörper seinerzeit als der Inbegriff von Völkerverständigung.

Blickte Allamoda in einer früheren Werkgruppe ihrer „ready to wear/colonial“-Reihe hinter die heile Fassade dieser Internationalität, so fragt sie jetzt vis à vis des IMA nach patriarchalischen Mustern und Ausschlussmechanismen. Wie kommt es beispielsweise, dass in der Museumssammlung letztendlich nur ein Teil der besagten arabischen Länder repräsentativ vertreten ist? Und wie ist die Aussage Jean Nouvels zu werten, der einmal meinte, er wolle das Gebäude mit Materialien bauen, von denen die Araber selbst nicht zu träumen gewagt hätten?

Dies sind nur einige der Fragen, mit denen sich Allamoda daran machte, das IMA in der gegenwärtig in der Galerie Zwinger gezeigten Ausstellung thematisch zu umkreisen. Sie zitiert die arabische Ornamentik der Originalfassade in Form von „Window-Papers“, die als lichtdurchlässige Folie auf die Fenster des Ausstellungsraums geklebt sind. Ihre durchbrochenen Muster sind ein Motiv für die Gratwanderung zwischen Verhüllung und partieller Öffnung, die sich durch die gesamte Schau zieht. Großformatige Grafiken, die etwas über Augenhöhe an der Wand hängen, zeigen den Grundriss des IMA. Er setzt sich aus geometrischen Flächen zusammen, die Bettina Allamoda in unterschiedlichen Variationen mit den Farben Rot, Grün, Schwarz besetzt, die als Nationalfarben in allen arabischen Fahnen vorkommen.

Kühle Abstraktion geht von diesen logohaften Fahnen aus, die in starkem Kontrast steht zu der monolithischen Skulpturalität des zentralen Objekts der Ausstellung: Die monumentale „Black Coat Sculpture“ wird von schwarzen, gefalteten Stoffbahnen umflossen und eingefasst. Sie erinnert in ihrem übermannshohen Volumen und der mächtigen Rundheit an die bildhauerische Arbeit des rumänischen Künstlers Constantin Brâncusi. Der fremdartige, hermetisch anmutende Körper der „Black Coat Sculpture“ triggert jedoch auch ganz andere Assoziationen. Alien-Darstellungen aus Sci-Fi-Filmen kommen in den Sinn, ebenso Kubricks Monolith aus „Odyssee 2001“. Nicht zuletzt lässt Allamodas Skulptur an die Sujets auf den Fotos von Clérambault denken und das mit dieser Dokumentation verbundene respektvolle, distanzierte Sehen, das dennoch seine aufklärerische Absicht nicht verleugnet.

Bettina Allamoda, Galerie Zwinger, Gipsstr. 3, 10119 Berlin, bis 13. März, Di–Fr 14–19 Uhr, Sa 11–17 Uhr. Samstag, 14. Februar verlängerte Öffnung bis 20 Uhr