: Verbrannte Erde
Eine Langzeitstudie des Hasses: „Final Solution“ bringt im Forum Licht ins Dunkel des Hindu-Muslim-Konflikts
„Eine Studie über die Politik des Hasses“ nennt Regisseur Rakesh Sharma seinen knapp vierstündigen Dokumentarfilm über die gewalttätigen hindu-muslimischen Konflikte Indiens. Wie Hass als Instrument der Politik eingesetzt wird, lässt sich an den geschilderten Vorgängen wie im Lehrbuch ablesen.
Im Dezember 1992 zerstörten aufgebrachte Hindus die Babri-Moschee in Ayodhya, weil sie angeblich über der Geburtsstätte des Gottes Ram errichtet wurde. Das Oberste Gericht stoppte Pläne für den Neubau eines Hindu-Tempels an derselben Stelle. Dennoch bereitete der Welthindurat VHP im Februar 2002 eine Grundsteinlegung vor, zu der tausende Gläubige anreisten. Auf dem Rückweg von der verhinderten Zeremonie wurde ein Eisenbahnwaggon mit Hindu-Pilgern während eines Halts nahe der Grenze zu Pakistan von Muslimen mit Steinen beworfen und angezündet. 59 Menschen kamen in den Flammen um. Daraufhin rief die Hindu-Rechte zu einem Pogrom an der muslimischen Bevölkerung in Gujarat auf. In den folgenden zwei Monaten wurden etwa 2.500 Muslime umgebracht, Hunderte von Frauen vergewaltigt und über 200.000 Familien vertrieben. Die Gewaltaktionen wurden von der Sangh Parivar, der Vereinigung hindu-nationalistischer Organisationen, als „verständliche Wut“ des Volkes willkommen geheißen, vorbereitet und unterstützt.
Aus hundertsechzig Stunden Filmmaterial hat Rakesh Sharma eine vierteilige Dokumentation erstellt, in der muslimische Frauen, Angehörige der Opfer von Godhra, Hindu- und Muslim-Vetreter zu Wort kommen. Die Vielzahl von Geschichten, Gesichtern und Stimmen ergibt ein komplexeres Bild der Situation als die safrangelbe Propaganda der Hindu-Politiker, die die Gewalttaten zum Teil schlicht leugnen. In einer Szene spielen Hindu-Teenager Kricket neben Brunnen, in die Leichen von Muslimen geworfen wurden. Als einer berichten will, was er gesehen hat, wird er aufgefordert, sofort den Mund zu halten: „Dein Vater ist Polizist.“ Keinesfalls waren die Ausschreitungen so spontan, wie es von Hindu-Politikern der Rechten dargestellt wird. Vor allem sexuelle Gewalt gegen Frauen wurde systematisch eingesetzt.
Eine Muslimin erzählt, dass die Angreifer Schwerter trugen und Mobiltelefone, um sich besser koordinieren zu können. Obwohl die Nationale Wahlkommission es ausdrücklich untersagte, das Unglück von Godhra zum Wahlkampfthema zu machen, wurden zehntausende Propaganda-Videos mit Bildern aus dem ausgebrannten Eisenbahnwaggon verteilt. Geschichte ist immer die Geschichte der Sieger. Gegen den zynischen Missbrauch der Bilder der Opfer setzt Rakesh Sharma seinen Film, der versucht, sich seinem Thema mit der größtmöglichen Unvoreingenommenheit zu nähern: „Ich betrachte Dokumentarfilm eher als eine Herangehensweise an unsere Umgebung und eine Offenheit gegenüber dem Kontext, in dem man dreht.“
DIETMAR KAMMERER
Heute, 13.45, Cinemaxx3, Samstag, 11.00, Delphi, Sonntag, 13.00, Arsenal
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