Copy and Paste mit Verfallsdatum

Der Bundestag beschließt morgen ein neues Gesetz über das Urheberrecht. Buchhändler protestieren weiter

Eine Aufführung, wie sie Bert Brecht gefreut hätte: Wenn morgen der Bundestag in der zweiten und dritten Lesung endgültig über das neue Urheberrecht abgestimmt haben wird, kann das Ergebnis nur lauten: Der Vorhang zu, und alle Fragen offen.

Mit drei Monaten Verzug werden die Parlamentarier die Umsetzung einer EU-Richtlinie beschließen, die bereits Ende 2002 hätte in Kraft treten sollen. Eine Verspätung, die sich alle Beteiligten – Justizministerium, die Lobby der deutschen Verleger, die Vertreter der Hochschulen, der Verwertungsgesellschaften oder der Bibliothen – auf die Fahnen schreiben können. Bis zur letzten Minute wurde um jedes Komma gerungen, der Börsenverein des deutschen Buchhandels fordert in einer groß angelegten Kampagne gar die Streichung ganzer Paragrafen.

Viel Lärm um ein Gesetz, das nur eine Etappe sein wird. Denn sein Verfallsdatum ist ihm, so viel hat der Druck der Lobbyisten bewirkt, bereits eingeschrieben: am 31. 12. 2006 läuft seine Geltung ab, dann soll eine „Evaluation“ über Revisionen oder gar Rücknahmen der neuen Paragrafen entscheiden. Und dabei wurden die wirklich wichtigen Fragen nicht mal angegangen. Da die von der EU gestellte Frist drängte, wurde „sehr viel Ballast auf der Strecke abgeworfen“, wie es im Justizministerium heißt.

Alle offenen Fragen sind für ein zweites Paket aufgehoben worden. So bleibt der Konflikt zwischen dem Recht der Nutzer auf die digitale Privatkopie und dem des Rechteinhabers, seine Werke mit Kopierschutzmechanismen, so genanntem Digital Rights Management, zu versehen, ungeklärt. Die Anpassung eines Gesetzes an, wie es immer so schön heißt, die Herausforderungen des digitalen Zeitalters ist gescheitert an der Alltagspraxis überall dort, wo ein Rechner auf dem Tisch steht. Eingeführt wurde das Urheberrecht ursprünglich für einen Interessenausgleich, der bereits im Grundgesetz angelegt ist: Eigentum ist geschützt, aber es verpflichtet ebenfalls. Für geistiges Eigentum gilt diese ganz Sozialbindung besonders. Deshalb hat jeder Urheber zwar das Recht, für seine Werke eine angemessene Vergütung zu erhalten, aber nicht zu beliebigen Bedingungen. Kopiert werden durfte, in einem gewissen Rahmen, daher schon immer. Die in jedem PC verfügbare „Copy and Paste“-Funktion droht jedoch das bisherige Gleichgewicht aus den Fugen zu bringen. Deshalb sah sich der Gesetzgeber gezwungen, zu novellieren. Ganz einsehen möchte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries die Aufregung aber nicht. „Was jetzt geregelt wird, wird faktisch bereits gemacht“, sagt Zypries. Sie hält den Entwurf für einen „fairen Kompromiss zwischen geistigem Eigentum und Wissensgesellschaft“, der eine bestehende Praxis aus dem Bereich möglicher Illegalität herausnehme. In der Wissenschaft ist es gang und gäbe, Forschungsergebnisse auf digitalem Weg zu publizieren, auch in Schulen werden Lerninhalte in digitaler Form bereitgestellt. Es wäre „widersinnig“, findet die Ministerin, wenn die Bundesregierung einerseits in einer groß angelegten „Initiative D21“ den Einzug der Informationstechnologien an den Schulen förderte, andererseits den Gebrauch dieser Technologien nicht gestattete.

Deshalb erlaubt der neu geschaffene Paragraf 52a, dass Lehrer im Unterricht oder Wissenschaftler für die eigene wissenschaftliche Forschung „kleine Teile“ von Werken, „Werke geringen Umfangs“ oder „einzelne Beiträge“ aus Zeitungen oder Zeitschriften über Computer nutzen dürfen.

Gerade dieses Schul- und Forschungsprivileg hat die Verleger auf die Barrikaden gebracht. „Durch einen solchen Paragrafen werden Autoren und Verleger enteignet“, begründete eine Initiative des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger ihre Forderung nach ersatzloser Streichung. „Denn letztlich brauchen alle deutschen Bibliotheken dann zusammen nur noch jeweils ein Exemplar eines Lehrbuchs oder einer Fachzeitschrift.“

Falsch und irreführend, entgegnet man im Ministerium. Die „öffentliche Zugänglichmachung“ bedeute keineswegs eine unbegrenzte Zuverfügungstellung von beliebigen Inhalten. Schulbücher etwa werden vom Privileg ausgenommen: Für sie muss eine Lizenz eingeholt werden. „Entgegen der Meinung der Verleger garantiert das neue Urheberrecht den Schutz der Urheber und gestaltet einen fairen Rahmen für Nutzer und Verwerter im digitalen Zeitalter“, meint die Ministerin. „Es wäre hilfreicher, die Verlage kommunizierten den tatsächlichen Regelungsinhalt, anstatt durch falsche Darstellung Verwirrung zu stiften.“

DIETMAR KAMMERER

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