Entschärft und zugenäht

Nach dem Abschluss hoffen die Tarifparteien, von der Politik in Ruhe gelassen zu werden. Die SPD zumindest hat die Gewerkschaft wieder ganz doll lieb

VON THILO KNOTT

Franz Müntefering ist für die Gewerkschaften ein Segen. IG-Metall-Mitglied. Aus Nordrhein-Westfalen. Einer, der die Tarifautonomie hochhält. Einer, der sich in die Tarifverhandlungen einschaltet und der IG Metall den Rücken stärkt im Abwehrkampf gegen längere Arbeitszeiten. Und einer wie Müntefering ist jetzt auch noch Parteichef der SPD.

So jedenfalls ist die Lesart, die die IG Metall favorisiert. Deren Chef Jürgen Peters redete vorige Woche mit einer gewissen Freude von „Neuanfang“. Denn das Verhältnis zwischen Gewerkschaft und Sozialdemokratie ist zerrüttet, seit Kanzler Gerhard Schröder in seiner Agenda-Rede im März 2003 der Gewerkschaft mit gesetzlichen Eingriffen gedroht hatte, sollte sie sich der Flexibilisierung des Tarifvertrages entgegenstellen. Es folgte ein Jahr der Niederlagen und Demütigungen. Und der politische Druck auf die Tarifverhandlungen nahm zu.

Nach dem Tarifabschluss in den gestrigen Morgenstunden betonten sowohl IG Metall als auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall denn auch ihre Eigenständigkeit. „Wir haben unter Beweis gestellt, dass die Tarifautonomie kein starres Gebilde ist“, sagte IG-Metall-Verhandlungsführer Jörg Hofmann in Pforzheim. Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser sprach von einem „qualitativen Schritt nach vorn“, sein Verhandlungsführer Otmar Zwiebelhofer von einem „Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland“.

Der „Beitrag“ nach dem 16-stündigen Verhandlungsmarathon hat zwei Komponenten: Löhne und Arbeitszeit. Die Einkommen werden zum 1. März um 2,2 Prozent und zum 1. März 2005 um 2,7 Prozent erhöht. Der Abschluss hat also eine Laufzeit von 26 Monaten und tritt am 1. Januar rückwirkend in Kraft. Januar und Februar 2004 bleiben Nullmonate. Das weit brisantere Thema aber war die Diskussion um flexiblere Arbeitszeiten. Dabei konnten sich die Arbeitgeber mit ihrer Forderung nach längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich nicht durchsetzen. Man hätte damit bei der IG Metall „verbrannte Erde“ hinterlassen, gestand Kannegiesser ein. Immerhin gebe der Abschluss den Betrieben zusätzliche Spielräume für weitere Kostensenkungen. Und das war eines der Hauptziele der Unternehmen.

Der Kompromiss sieht nun vor, dass bei besonders qualifizierten Belegschaften der Anteil der Mitarbeiter, die bis zu 40 Stunden in der Woche arbeiten dürfen, von derzeit 18 auf bis zu 50 Prozent erhöht werden kann. Überdies kann für einzelne Gruppen oder Betriebsteile die Arbeitszeit auf bis zu 40 Stunden in der Woche verlängert werden, ohne dass Überstundenzuschläge anfallen. Zudem vereinbarten die Tarifparteien, die Verhandlungen über Arbeitszeitkonten zügig abzuschließen. Jürgen Peters frohlockte: „Wir haben die Absicht der Arbeitgeber durchkreuzt, die Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich zu erhöhen.“

Mit dem Abschluss hat die IG Metall zweierlei erreicht: Die 35-Stunden-Woche bleibt weiter heilig – auch wenn sie in der Praxis oftmals nicht mehr realisiert wird. Und die Gewerkschaft behält weitestgehend die Hoheit über die betrieblichen Regelungen. Zwei Säulen, die im vergangenen Jahr wackelten. Reicht das aber, um die Diskussion über die Tarifautonomie auf Eis zu legen? Für den Berliner Gewerkschaftsforscher Hans-Peter Müller ist der Abschluss ein „Minimalkonsens, mit dem die Tarifparteien dem politischen Druck entgegengekommen sind“. Zumindest gilt das für Union und FDP. Beide hatten im vergangenen Jahr die Tarifautonomie angegriffen – und sogar einen Gesetzentwurf eingebracht. „Die Opposition wird die Regierung beim Thema Tarifautonomie weiter vor sich hertreiben“, sagt Müller, „auch um die Bruchstelle zwischen Regierung und Gewerkschaft aufzuzeigen.“

Die SPD tat gestern so, als hätte es nie eine Bruchstelle gegeben – und schmuste kräftig. Schröder höchstselbst dankte für einen „guten Abschluss“, der helfen werde, die Wirtschaft nach vorn zu bringen. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, nicht gerade im Verdacht, die Beliebtheitsskala unter Gewerkschaftern anzuführen, sprach gar von Bestätigung „für das Vertrauen, das wir in die Tarifparteien gesetzt haben und setzen“.