„Ich bin froh, dass er weg ist“

Sie alle freuen sich über den Sturz des Diktators Saddam Hussein: die in Berlin lebende kurdisch-irakische Familie Shushe, die Exilirakerin Kifah Al-Turaihi und der Amerikaner Aaron Richardson. Die taz hat sie seit dem Beginn des Krieges begleitet

Seit drei Wochen hofft Cofur Shushe, der irakische Kurde aus Kirkuk, der mit Frau und drei Söhnen in Kreuzberg lebt, dass dies der allerletzte Krieg ist. Für ihn, für sein Volk, für sein Land. „Was ihr Krieg nennt, nennen wir Freiheit“, hat er während des Feldzugs der Alliierten immer wieder gesagt. (Siehe taz vom 20. und 27. März.)

Seit fünf Uhr früh sitzt der 43-jährige Cofur Shushe mit seinen drei Söhnen vor dem Fernseher. „Was soll ich denken?“ Gestern, als die Saddam-Statue in Bagdad heruntergerissen wurde, hat er sich gefreut. Am Morgen danach ist er von Unruhe getrieben. „In Kirkuk gibt es einen Aufstand“, sagt er. „Aufstand“ – das Wort will nicht passen. Chaos, Durcheinander, Unübersichtlichkeit ist gemeint. Es ist nicht klar, wer wann auf wen schießt. „Im Fernsehen sagen sie, dass von acht Uhr bis jetzt am frühen Nachmittag niemand gestorben sei“, sagt Shushe.

Kirkuk, die Ölstadt, liegt an der Grenze zu jenem Gebiet, das von den Kurden kontrolliert wird. „Jetzt ist der Krieg in unserer Stadt. Bei unseren Familien.“ Seit zwei Wochen haben die Shushes nicht mehr mit Eltern und Geschwistern telefonieren können. Keustan, die Frau, weint. Shushe legt seinen Arm um sie. Als auf dem kurdischen Fernsehkanal Bilder mit jubelnden Menschen aus dem Nordirak gezeigt werden, schreit die Ehefrau auf, rennt zum Bildschirm, kniet davor nieder. „Kirkuk“, ruft sie. Sie meint, einen Verwandten erkannt zu haben. Aber dann merkt sie, dass es Bilder aus einer anderen Stadt sind.

Shushe holt ein Blatt Papier und malt eine Landkarte auf. „Ich komme aus Osmanlaka“, sagt er, „einem kleinen Dorf nördlich von Kirkuk.“ Es liegt in jener Zone, aus der die Kurden vor 15 Jahren vertrieben wurden. Ein Niemandsland, südlich des kurdisch kontrollierten Gebiets. „Niemand lebt mehr da. Es gibt keine Häuser. Nur Minen.“

Shushe träumt davon, zurückzukehren. Deshalb hat er mit anderen Exilirakern, die aus dieser Gegend kommen, ein Komitee gegründet. Sie wollen Geld auftreiben, um ihre Heimatdörfer wieder aufzubauen. Shushe, von Beruf Maurer, malt den Grundriss eines Hauses auf: zwei Zimmer mit Flur, ein Fenster, eine Tür. „Unsere Häuser sind aus Lehm. Aus gutem Lehm. Da ist etwas Öl drin. Schwarzes Fett. Gut gegen Regen.“ Er reibt sich die Finger, als prüfe er das Baumaterial. Jedes Dorf hat ungefähr 30 oder 40 Familien. Genau so viele Häuser sollen es sein. Sie könnten sie selber bauen. Es wäre nicht teuer.

Shushe möchte anpacken. „Jeder Iraker im Ausland muss etwas tun. Unser Land ist kaputt. Wir müssen dem Irak helfen. Niemand kann unserem Land so helfen wie wir. Ich bin Maurer.“

Shushe holt ein paar irakische Banknoten und zeigt sie. „Bald ist unser Geld wieder etwas wert“, meint er. Auf der 5-Dinar-Schein ist eine Ölraffinerie abgebildet. Für einen kurzen Augenblick geht Shushe in seinen Träumen auf. Er würde gerne eine kleine Firma aufmachen. Baustoffhandel. Export. Import. „Der Irak hat wunderbaren, schweren, süßen Wein“, sagt er.

Aber es geht nicht. Shushe bräuchte einen deutschen Pass. Den könnte der anerkannte Asylbewerber frühestens in fünf Monaten beantragen. Ohne deutschen Pass würde er nicht in den Irak fahren. Zu viele schreckliche Erinnerungen. Er braucht den offenen Fluchtweg. Sein dreijähriger Sohn Rebin rennt durch die Wohnung. In jeder Hand ein Spielzeuggewehr.

WALTRAUD SCHWAB

Seit dem Kriegsbeginn wollen die „Americans in Berlin against the war“ ihren Standpunkt gegen den Kurs der Bush-Regierung festigen. Aaron Richardson, 26-jähriger Student aus den USA, ist für die Pressearbeit zuständig.

In der Mensa reiht sich Aaron in die Schlange für Kasslerbraten mit Ananassoße ein. Der Berliner Alltag hat den US-Amerikaner wieder. Alltag heißt für Aaron Richardson, für die Mathematik-Zwischenprüfung lernen und sein Job am Informatik-Institut der FU. „Die politische Arbeit muss ich von der Uni trennen“, bedauert Aaron.

Die Arbeit der amerikanischen Kriegsgegner in Berlin geht weiter. Trotz des Falles von Bagdad. Aaron stochert in den Ananasstückchen. „Es geht nicht nur um den Irakkrieg. Nicht nur um Öl, sondern vor allen Dingen um Macht.“ Der sonst so ruhige und freundliche Student wird energisch: „Macht kann manchmal stärker sein als Geld. Und um Macht geht es Bush und der US-Regierung hauptsächlich.“

Letzte Woche haben sie sich getroffen, um zu besprechen, wie es mit „Americans in Berlin against the war“ weitergeht. Zuerst einmal soll ein „position paper“ zusammengestellt werden. „Bei uns hat jeder seinen persönlichen Hintergrund und ein bisschen sein eigenes Thema“, erklärt Aaron, der mit 26 Jahren der Jüngste in der Gruppe ist. Für ihn selbst ist vor allem die Thematisierung der Besatzung wichtig. „Eine Besatzung halte ich für gefährlich und die Gestaltung für äußerst problematisch.“ Die Geschichte habe gezeigt, dass das Einnehmen von Ländern immer einfacher gewesen ist als die Zeit der Besatzung danach, gibt Aaron zu bedenken. „Deshalb fordern wir den Aufbau einer UNO-Verwaltung in Bagdad. Die USA kann und darf diese Arbeit nicht alleine übernehmen.“ Dieser Punkt fand bisher bei allen in der Gruppe Zustimmung.

Zum Nachtisch gibt’s noch eine Banane, bevor sich Aaron wieder seinem Informatik-Projekt widmet. „Wir müssen als Gruppe von Amerikanern gegen Bush nun unseren Standpunkt in Berlin festigen“, weist Aaron auf die bevorstehende Arbeit hin. Netzwerke mit anderen europäischen US-Gruppen, die sich politisch gegen George W. Bush engagieren, sollen gebildet werden – vielleicht muss auch ein neuer Name her. „Obwohl“, Aaron lächelt ein wenig verbittert, „eine aus der Gruppe meinte, dass vielleicht sowieso bald der nächste Krieg komme, dann könne der Name der alte bleiben.“ LUCIA JAY

In der ersten Kriegswoche ging Kifah Al-Turaihi gegen den Krieg demonstrieren. Nun, da das Ende des Krieges nahe scheint, ist die Exilirakerin froh, dass Saddams Regime am Ende ist. Was kommen wird – davor hat sie Angst.

Beim dritten Wurf rutscht das Seil endlich über den Kopf der übermächtigen Bronzestatue. Der Fernseher knistert ein wenig, das Seil spannt sich. Um den Hals der Statue Saddams. Über den Monitor flimmert ein unscharfer Streifen, dann sendet sich die Stimme des ägyptischen Nachrichtensprechers wieder klar ins Wohnzimmer von Kifah Al-Turaihi. Die Vorsitzende des irakischen Kulturvereins Al Rafidein sitzt auf einem Sessel in ihrer Neuköllner Wohnung und starrt auf den Fernseher. „Da! Saddam –“, sagt sie leise und zeigt auf die Statue, die einige Iraker mit Hilfe eines Seils und eines US-Panzers vor dem Palast in Bagdad stürzen, „35 Jahre –“ Kifah stockt und seufzt, ganz tief aus der Brust heraus.

Auch an diesem Tag, auch nach drei Wochen Krieg in ihrer Heimat, kann Kifah nicht wegsehen. Den Fernseher nicht ausmachen. „Letzte Woche wollte ich nicht mehr gucken, die ständigen Kopfschmerzen, der Stress“ – Kifah blickt mit leeren Augen auf den Fernseher, ohne wahrzunehmen, dass nun das Gesicht von George W. Bush über zugeschaltete CNN-Bilder auf dem Schirm flimmert. „Ich muss es aber sehen“, sagt sie, „sehen, was in Bagdad passiert.“ Gerade weil sie seit über zwei Wochen keinen Kontakt mehr hat zu ihrem Bruder und seiner Familie, der in Bagdad lebt. „Ich hoffe, dass sie noch leben nach den Bomben überall.“ Obwohl sie bei jedem Blick Angst hat, ein bekanntes Gesicht unter den Toten und Verstümmelten zu erkennen. „Im deutschen Fernsehen zeigen sie wenige Opfer“, sagt Kifah. Sie wirkt unentschlossen, ob sie das gut oder schlecht finden soll. Sie kann es auch verstehen. Trotzdem schaut sie lieber arabisches Fernsehen.

Während andere Exiliraker vor der US-Botschaft in Berlin spontan jubeln, drückt Kifah ihre Marlboro light in dem großen Aschenbecher aus und zieht ein Kleenex aus der Box. „Ich freue mich, dass Saddam weg ist, aber ich bin immer noch dagegen, dass die Amerikaner das Land besetzen.“ Kifahs Blick ist plötzlich fest, eine Hand gestikuliert, die Finger der anderen schaben über den Polsterbezug des Sessels. Sie sei keine Politikerin, betont die im Irak verfolgte Anhängerin einer Oppositionspartei. Aber nun geht es um die Zukunft ihres Landes. Darum, dass jeder das Recht hat zu leben. „Vor Saddam haben die verschiedenen Stämme auch friedlich zusammengelebt.“

Im Fernsehen meldet sich George W. Bush zu Wort: Der Krieg sei noch nicht zu Ende. Kifah seufzt, wieder einmal. „Ich habe richtig Angst“, sagt sie. Davor, dass jetzt die Amerikaner kommen und mit ihnen die Unruhen über ein Volk, bei dem sich in den Jahren der Unterdrückung viel Hass angestaut habe. Den Traum von der Rückkehr in die Heimat träumt Kifah trotzdem. SUSANNE LANG