Acht Filme sind ein Tag

Echtes Glück gibt es nur auf der Leinwand: Die Dokumentation „Cinemania“ folgt New Yorker Filmsüchtigen in deren verführerische Parallelwelt. Aus dem amerikanischen Alltag haben sich die Einzelgänger verabschiedet: Wozu sind reale Erfahrungen gut, wenn man sie nicht in Schwarzweiß hat?

Die Leiber neigenzur Unförmigkeit,die Accessoiressprechen für sich

von CLAUDIA LENSSEN

Roberta hat es mit Filmen über fremde Länder, Harvey kennt sich im Paris der französischen Autorenfilmer aus, Eric steht auf Komödien, Jack hat das Böse im Kino gesehen. So weit sind die New Yorker Stars aus Angela Christliebs und Stephen Kijaks witzigem Dokumentarfilm gewöhnliche Cinephile.

Was aber ist mit Bills Talent, die Lauflängen sämtlicher Filme mitzustoppen und auswendig herzubeten? Was mit Jacks Ehrgeiz, die Telefonnummern der Vorführkabinen zu sammeln, damit er bei fehlerhafter Projektion per Handy direkt protestieren kann? Und was mit Robertas Bude, in der jeder Meter mit Filmprogrammen voll gestopft ist und sich Pappbecher mit Motiven zu „Jurassic Park“ stapeln?

Die Dokumentarfilmer trafen in New Yorker Kinos immer wieder auf dieselben Dauerkonsumenten, eine Zwangsgemeinschaft schräger Vögel. Die notorischen Rituale ihrer Abschweifungen langweilen die Hartgesottenen zwar inzwischen selbst gelegentlich, sie hassen einander dafür und nörgeln gekonnt an alten Bekannten im Kinosaal herum, aber auf keinen Fall lassen sie von ihrer Sucht ab. Fünf Filmbuffoons – allesamt Einzelgänger mit ausgeprägten Manien, Aussteiger aus dem normalen amerikanischen Arbeits- und Alltagsleben – geben Einblicke in ihre Parallelwelt.

Sieben Filme pro Woche sind gar nichts, sieben mal sieben stimmen doch ein wenig müde. Täglich richten sie ihre Lebenszeit nach den Programmen des Museum of Modern Art, des Lincoln Center oder Film Forum aus. Jeder hat sein computergestütztes System zur Koordination der Termine, zur Beschaffung der notwendigen Tagesdosis Kino. Einer guckt auch abgenudelte Videos – Hauptsache, alte Hollywood-Komödien –, alle hassen das Fernsehen und gehen nur in Multiplexe, wenn sie die Kontrollen austricksen und mit einem Ticket mehrere Filme sehen können.

Mit leichter Digitalkamera folgt der Film den eiligen Kino-Pendlern durch die Sommernächte. Stephen Kijaks Bilder spielen mit Blickachsen und Frames, suggerieren, dass Bauten, Autoscheiben, Werbetafeln und Stadtbeleuchtung New York permanent in irreale movies verwandeln.

Nüchtern und ungastlich wirken im Gegensatz dazu die Lebensmittelpunkte der Kinofreaks. Ihre Wohnungen sind Archive auf kleinstem Raum, ihre Leiber neigen zur Unförmigkeit, erzählen vom Sesseldasein und Stressfressen, ihre schrulligen Accessoires sprechen für sich. Das Fußvolk von Woody Allens Stadtneurotiker-Spezies braucht Stoffbeutel für viel, viel Info-Material, für wärmende Pullover oder Beruhigungspillen. Gegessen wird, was wenig kostet und die Verdauung ruhig stellt, so weit es eben geht.

Diese Leute leben von der Stütze oder von kleinen Erbschaften. Die meisten sind als jewish boys keine Zierde ihrer Familien. Aber dieses Manko bringt sie höchstens in Hochform, brillant über den Erkenntniswert eingefleischter Neurosen zu witzeln. Sex und Liebe, heißt es anfangs, sind im Kino besser als im realen Leben – allein schon deswegen, weil man sie dort nie in Scharzweiß bekommen kann. Doch was ist Kino und was ist Realität, wenn Jack und Harvey das Happy Ending von „Cinemania“ für eine Botschaft in Sachen Partnerinnensuche nutzen? Was bleibt, ist der Sound von ziemlich abgründigem Gelächter.

„Cinemania“. Regie: Angela Christlieb und Stephen Kijak. Deutschland 2002, 80 Min.