Knallbunt & kahl

Annette Pullen lässt kräftig durch Ionescos „Sängerin“ wedeln – ohne das Antistück von seiner Patina zu befreien

Ständig wird getänzelt, gesungen, schrill aufgeschrien und tumb geguckt

Ein knallbunter Staubwedel ist die Hauptperson des Abends. Dienstmädchen Mary, in Strümpfen, Strapsen und Ultraminirock nicht gerade standesgemäß gestylt, schwingt ihn behend durch die Lüfte. Wie eine Cheerleaderin springt und tänzelt die wohl proportionierte Blondine über die Minibühne im Hamburger Thalia in der Gaußstraße.

Mal schießt sie das in allen Regenbogenfarben schillernde Putzutensil wie einen Pfeil auf die leeren Stühle ihrer Herrschaften, dann wieder krümmt sie den Stiel zur Pfeife und steckt sich ihn in den Mund. Annette Pullen spart bei ihrer Diplominszenierung an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg von Ionescos Antistück „Die kahle Sängerin“, die jetzt Premiere hatte, nicht mit knalligen Effekten. Schräg bis schrill gekleidet sind auch die beiden Londoner Ehepaare Smith und Martin, bunt wie ein Papagei leuchtet der Feuerwehrmann, der auf der Suche nach einem Feuer, das er löschen könnte, die befreundeten Paare beehrt. Große Lacher aus dem Publikum erntet sein Auftritt in Strümpfen, Strapsen, Minirock und Bobby-Mütze.

Ganz im Sinne von Ionescos absurdem Theater stehen hier keine psychologisch ausgeleuchteten Personen auf der Pappmaché-Bühne, sondern Karikaturen. Diese Pappfiguren geben vor einer Kulisse aus Pappuhren und einem Pappkamin Banalitäten, Floskeln und schlichten Unsinn zum Besten, also all das, was tagtäglich in den Wind gesprochen wird, ohne dass einer richtig zuhört. Wer mag, kann zwischen diesen geschwätzigen Dialogen, die immer wieder von unangenehmen Gesprächspausen durchbrochen werden, Beziehungsarmut, Einsamkeit und Sinnlosigkeit der Existenz entdecken. Wer mag, kann dieses inhaltsleere Geplapper auch lustig finden – oder einfach nur öde. Pullens Inszenierung nämlich bietet Raum für alle Interpretationsmöglichkeiten, weil sie sich selbst nicht richtig entscheidet, was dieses in der Nachkriegszeit entstandene Stück heute zu bieten hat.

Und so stürzt sie sich auf Gags und Komik: Ständig wird getänzelt, gesungen, schrill aufgeschrien und tumb geguckt. Das kann durchaus unterhaltsam sein – etwa wenn Mr. und Mrs. Martin so tun, als hätten sie einander noch nie gesehen: Sie flirten, was das Zeug hält, ziehen sich mit Blicken aus, bis ein verbaler Orgasmus ihre Gesichter verzerrt.

Der Ekel folgt dem symbolischen Akt auf dem Fuße. Wenn er sich breitbeinig hinfläzt, in der Nase polkt und machomäßig die Eier zurechtrückt, wendet sie sich angewidert ab. Und flugs tritt wieder der Staubwedel in Aktion. Doch der Einsatz ist sinnlos: Die Patina des Stücks wischt er nicht weg. Karin Liebe

Noch 14.-16.2. im Thalia in der Gaußstraße, Hamburg, jeweils 20 Uhr